Der metabolische Bruch

Schon im September erschien der folgende Beitrag bei Makroskop. Der Vollständigkeit halber soll er auch hier veröffentlicht werden.

In meinem Artikel zu Steve Keens BuchNew Economics – A Manifesto“ zitiere ich ihn folgendermaßen:

Anstatt dass Kapitalisten die Arbeiter ausbeuten, wie Marx behauptete, oder dass Kapital und Arbeit gemeinsam einen Anstieg des Nutzens im Laufe der Zeit bewirken, wie die Neoklassiker annehmen, konkurrieren die sozialen Klassen der Menschheit um einen Anteil an der nützlichen Arbeit, die durch die Ausbeutung der bereits vorhandenen Energie – in erster Linie der fossilen Brennstoffreserven des Planeten – geschaffen wird.“

Ein Leser schrieb mir daraufhin freundlicherweise (und freundlich):

Das Buch von Keen scheint mir, folgt man Deiner Darstellung, auch einige Missverständnisse zur Marxschen Werttheorie und der Rolle der Natur in der Ökonomie zu enthalten, die aber auch unter Marxisten weit verbreitet sind.“

Dem ging ich nach. Fündig wurde ich u.a. bei John Bellamy Foster, Professor für Soziologie an der University of Oregon in Eugene und Herausgeber des marxistischen Magazins Monthly Review.

Bei der Lektüre seines neuesten BuchesCapitalism in the Anthropocene“ konnte ich feststellen, dass Marx (und Engels) keineswegs den Beitrag der Natur zur menschlichen Produktion außer Acht ließen. Ganz im Gegenteil: Mit seiner „Theorie des metabolischen Bruchs“ lieferte Marx entscheidende Grundlagen zum Verständnis der heutigen Zivilisationskrise als Folge der kapitalistischen Produktionsweise. Darauf aufbauend gab und gibt es eine reiche marxistische Tradition der Untersuchung des Mensch-Naturverhältnisses, die heute wieder sehr aktuell ist und zunehmend wiederentdeckt wird. Nur wenig bekannt dürfte z.B. sein, dass E. Ray Lancester, der 1873 den Begriff „Ökologie“ prägte, ein Freund von Marx und ein Bewunderer von „Das Kapital“ war. Weiterlesen

Thesen zur Zeitenwende

Das sind unsere Überlegungen dazu

Ist die Menschheit wieder dort angelangt, wo sie vor gut 100 Jahren war, als große kapitalistisch-imperialistische Mächte gegen einander antraten, und Rosa Luxemburg fassungslos auf den (aus ihrer Sicht) Verrat der deutschen Sozialdemokraten reagierte, die im Reichstag den Kriegskrediten zustimmten? Weiterlesen

Sozialistische Politik heute – die antiimperialistisch-realistische Sicht

Es sollte ein Aufsatz werden, doch es wird ein Buch. Zwei Kapitel muss ich noch schreiben. Aber „as“ meinte, ich solle es schon mal unvollständig zur Diskussion stellen, was ich hiermit mit der Veröffentlichung des ersten Kapitels tue. Der Rest folgt nach und nach.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 als pdf

1 Sozialismus: Notwendig aber bedeutungslos?

Die Menschen machen“, wie Marx einmal sagte, „ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“(MEW 8: 115) und innerhalb ihrer Grenzen. Falls jedoch die sozialistische Arbeiterbewegung wieder ihre Seele, ihre Dynamik und ihre historische Initiative zurückgewinnen sollte, dann müssen wir als Marxisten das tun, was Marx ebenfalls getan hätte: die neue Situation anzuerkennen, in der wir uns befinden, diese realistisch und konkret (und auch historisch spezifisch) analysieren, dabei auch die Gründe für das Scheitern wie für die Erfolge der Arbeiterbewegung erkunden – und nicht zu formulieren, was wir gerne getan hätten, sondern was unter diesen Umständen getan werden kann.“1

1.1 Sieg des Kapitalismus?

Wir leben in verwirrenden Zeiten.

Marxisten sind davon überzeugt, dass der Kapitalismus eine vorübergehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform ist, die gekennzeichnet ist durch den antagonistischen Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit. Daraus ergibt sich der historische Auftrag der Arbeiterklasse, durch organisiertes politisches Handeln die Macht zu ergreifen und sozialistische Gesellschaften zu schaffen, die den Kapitalismus überwinden. In diesen Gesellschaften können sich die Grundlagen für eine neue Gesellschaftsordnung entwickeln, einer Gemeinschaft, in der die Früchte der Arbeit allen Menschen in gleicher Weise zugute kommen, und die Entfremdung der Menschen von ihrer Arbeit, der Gesellschaft, sich selbst und der Natur aufgehoben werden kann. Marxisten sind davon überzeugt, dass die Vorstellung einer solchen – kommunistischen – Gesellschaft keine unerreichbare Utopie, sondern wissenschaftlich abzuleiten ist aus der Analyse der Geschichte und Gegenwart menschlicher Entwicklung, auf der Grundlage der Produktivkraftentwicklung. Im kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem reift das neue – sozialistische – heran.2

Wer als Sozialist diese Auffassung teilt und vielleicht zeitlebens zur Überwindung des Kapitalismus beizutragen strebte, ist heute enttäuscht.

Der Kapitalismus hat weltweit gesiegt. Alle wollen Kapitalismus, Globalisierung und Auslandsinvestitionen. In vielen Gegenden der Welt sind beeindruckende Wachstumszahlen zu verzeichnen, und der Lebensstandard vieler Menschen verbesserte sich stark. Sozialismus schien lange Zeit out zu sein. Weiterlesen

New Economics – A Manifesto von Steve Keen

Steve Keen ist ein bekannter Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) (Anmerkung am 31.8.: Das hatte ich gedacht, es stimmt aber nicht, was die genauen Unterschiede sind, weiß ich noch nicht; es gibt jedoch eine kritische Auseinandersetzung). Dass er sich auch intensiv mit dem Klimawandel beschäftigt hat, war (mir zumindest) nicht so bekannt.

Ich habe für Makroskop einen Artikel über sein neuestes Buch geschrieben.

Um funktional und wissenschaftlich zu sein, so Steve Keen, müsse ein neues Paradigma der Wirtschaftswissenschaften folgende Bedingungen erfüllen, die er in seinem Buch erläutert:

  • Modellierung des Kapitalismus als komplexes, dynamisches und chaotisches System (Kapitel 3),
  • Verwendung systemanalytischer mathematischer Methoden (Kapitel 6),
  • Arbeit mit realistischen Grundannahmen (Kapitel 5),
  • Berücksichtigung der zentralen Rolle des Geldes (Kapitel 2) und
  • der physikalischen Gesetze der Thermodynamik (Kapitel 4).

Zum Artikel

Was bedeutet die Rückgabe der Turbine? Und einige Prognosen

Christian sagt (per Mail) „Die Turbine aus Kanada kommt jetzt angeblich doch wieder (als große Ausnahme) zurück, und die Ukrainer stänkern!“, verweist auf diesen Artikel aus einer russischen Quelle und fragt, was da wohl hinter den Kulissen so alles passiert ist.

Ich nehme das als Anlass, etwas zu spekulieren und einige Vorhersagen zu machen.

Die Turbine kommt zurück aufgrund einer heftigen diplomatischen Aktivität Deutschlands, die dazu geführt hat, dass eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, die es Kanada ermöglicht, ganz legal die Turbine zurückzugeben.

Die deutsche Regierung hat das gemacht, weil ihnen der Arsch auf Grundeis geht. Bis heute hat man in der deutschen Öffentlichkeit noch gar nicht richtig begriffen, welche einschneidenden Folgen das Abklemmen des russischen Gas für die deutsche Wirtschaft und den deutschen Verbraucher hätte. Die politischen Folgen einer solchen Disruption wären völlig unkalkulierbar. Schon jetzt gehen die Zustimmungswerte für die bedingungslose Parteinahme für die Ukraine deutlich zurück. Man ist bereit sehr viel dafür zu tun, dass es nicht zu diesem Äußersten kommt, aber der Schein der Solidarität mit der Ukraine soll unbedingt gewahrt werden. Der Bürger soll letztendlich weder aus seiner wurschtigen Haltung, dass alles wohl nicht so schlimm kommen wird, aufgeschreckt werden, noch aus dem Gefühl, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen.

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Einige Gedanken zur Lage (mit Michael Hudson)

Tiefste Verunsicherung in dieser neuen Weltlage ist kein angenehmer Zustand. Damit werden wir, wenn wir nicht völlig verbohrt sind, in der nächsten Zeit leben müssen. Ein Versuch, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Michael Hudsons Aufsatz vom 8.2.2022 hilft mir dabei.(Übersetzungen von mir mit deepL)

1. Es geht um den ökonomischen Kampf um Einflusssphären, vermutlich auf Leben und Tod

Dazu Hudson:

„Das heutige Sanktionsregime ist nach innen gerichtet, um Amerikas NATO- und andere westliche Verbündete daran zu hindern, mehr Handel und Investitionen mit Russland und China zu tätigen. Das Ziel ist nicht so sehr, Russland und China zu isolieren, sondern vielmehr, diese Verbündeten fest in Amerikas eigenem wirtschaftlichen Orbit zu halten.“

Es ist meiner Meinung nach mehr als das: Das Ende der 500-jährigen Kolonisierung der Welt, die immer auch eine brutale, rassistisch-ideologische Unterwerfung und nicht nur eine ökonomische war. Weiterlesen

Die Linke, Ökonomie und die MMT (Marx, MMT und linke Strategie – 1)

Der Artikel erschien am 16. November 2021 bei Makroskop

Warum ein Katalog guter Forderungen, moralische Argumentation, Identitätspolitik und abstrakte Systemkritik kein Ersatz sind für ein fundiertes ökonomisches Konzept.

Ohne Ökonomie geht nichts. Linke streiten für gute Arbeit, bezahlbare Wohnungen, eine intakte Umwelt, sichere Renten, gute Bildung und ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle. Aber beim Thema Geld ist dann Schluss. In der Regel ist nichts da. Und wer diese Forderungen stellt, muss sich ständig mit dem Vorwurf auseinandersetzen, man wolle mit vollen Händen das sauer verdiente Geld anderer Leute ausgeben.

Da kommt die Modern Monetary Theory (MMT) ins Spiel.

Der MMT zufolge haben „Staatsschulden“ eine völlig andere Qualität als die Schulden eines Betriebes oder Haushalts. Ein Staat mit eigener Währung setzt als Souverän das Geld überhaupt erst einmal in die Welt. Während alle anderen Akteure nach dem Prinzip der schwäbischen Hausfrau wirtschaften müssen, sind deswegen die möglichen Staatsausgaben – so die MMT – in Wirklichkeit nicht durch eine bestimmte Geldmenge sondern durch die verfügbaren realen Ressourcen begrenzt.

So ergibt sich eine völlig neue Perspektive für politisches Handeln. Weiterlesen

Marx, MMT und linke Strategie

Ab heute erscheinen auf Makroskop in loser Folge Artikel von mir zum Thema der Überschrift (So ist jedenfalls der Plan, zwei Artikel sind fertig, weitere von den Umrissen her angedacht). Jeweils eine Woche nach Veröffentlichung sind sie dann hier zu lesen.

Die Idee zu meiner Artikelreihe entstand beim Lesen und Übersetzen zweier Blogbeiträge von William Mitchell mit den Titeln „(Modern) Marx and MMT part 1 and part 2“. Und nach seinem Blogtext „Marx‘ Traum rechtfertigt es nicht, das alltägliche menschliche Leid zu ignorieren“ (hier meine Übersetzung).

Für Makroskopen selbstverständlich ist, dass erfolgreiche politische Praxis und Strategie im Interesse der Bevölkerungsmehrheit (und auch eine gegen die Erderhitzung) eine tragfähige ökonomische Theorie als Grundlage braucht, und diese verständlich kommuniziert werden muss. Weiterlesen

MMT und die Revolution

Im Oxiblog erschien ein MMT-kritischer Artikel, der der MMT die Obsession mit dem Zentralbankwesen vorwirft, während sie die Klassenfrage ignoriere.

Es gehört schon viel Chuzpe dazu, eine Theorie zu kritisieren, ohne wesentliche Literatur dazu zur Kenntnis zu nehmen. (Die gibt es nur auf Englisch? Und vor lauter Nebel sehe ich auch gerade die Sonne nicht.) Und was kann wesentlicher als das MMT-Lehrbuch sein? Dort entwickeln die Autoren eine Inflationstheorie, deren Bestandteil die Klassenkämpfe sind (Vergl. MMT and Power von Bill Mitchell). Ihren Ansatz definieren sie dort so:

„Heterodoxe Wirtschaftstheorien befassen sich mit der sozialen Schöpfung und sozialen Verteilung der Ressourcen einer Gesellschaft.“

Und weiter: das Buch von Mitchell und Fazi ‚Reclaiming the State‘ handelt vom Zusammenbruch der Wohlfahrtsstaaten in den 70ern, dem Aufstieg des Neoliberalismus und der unrühmlichen Rolle, die Linke dabei teilweise gespielt haben. Im zweiten Teil des Buches entwickeln sie eine Alternative, nämlich die, den Staat zurückzufordern. Überraschung! Der zentrale Akteur in diesem Szenario ist nicht die Zentralbank. Weiterlesen

China und Russland starten eine ‚globale Widerstandsökonomie‘

von Alastair Crook, 5. April 2021, iübersetzt von Ulrike Simon

Beginn der Übersetzung:

Sun Tzu’s ‚Die Kunst des Krieges‘ (ca. 500 v. Chr.) rät:

„Uns gegen eine Niederlage zu sichern, liegt in unserer eigenen Hand; doch die Möglichkeit, den Feind zu besiegen, bietet der Feind selbst … Deshalb setzt der kluge Kämpfer seinen Willen durch und lässt sich nicht den Willen des Feindes aufzwingen“.

Dies ist die Essenz der chinesischen Widerstandsökonomie – eine Strategie, die im Gefolge der Anchorage-Gespräche vollständig enthüllt wurde;

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