Desorganisierte Eliten

Der Kommentator Sin Fronteras berichtet über den kürzlich verstorbenen Soziologen Richard Lachmann, der zum Thema Eliten, Macht Staat forschte und schrieb.

Seine Kernthesen:

1. Es gibt heute KEINEN einheitlichen oligarchischen Konsens. Früher gab es einen, seine Studie beginnt in den 50er Jahren, aber der Neoliberalismus hat nicht nur alles de-reguliert, sondern auch die oligarchischen Mittel zur Koordination und einheitlichen Politikgestaltung aufgelöst. Es geht also nur noch darum, zu plündern und zu brandschatzen, bevor der Konkurrent einem zuvorkommt.

2. Elitenplünderung schwächt den imperialen Staatsapparat und trägt zu seinem Niedergang bei.

Die US-Gesellschaftsordnung werde weder von einer rechten Agenda vereinnahmt, noch sei sie nach den Prinzipien des Finanzkapitals neu etabliert worden. Stattdessen, so Lachmann, sei sie infolge neuer und ungelöster Konflikte zwischen Eliten, deren Fähigkeiten und Interessen durch die strukturellen Veränderungen in der US-Wirtschaft in den 1970er Jahren neu geformt worden seien, völlig desorganisiert worden.

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CO2-freie Fabrik: Die Herren meinen es ernst

Heute erschien bei Makroskop mein Artikel über die Fachtagung CO2-frei Fabrik, an der ich als Pressevertreterin teilnahm. Ausschnitte:

„Kann Kapitalismus Klimaschutz? Die auf der Fachkonferenz „Die CO2-freie Fabrik“ vorgestellten Strategien und technischen Optionen beeindrucken – und erwecken den Eindruck, dass eine Klimaneutralität bis 2050 möglich ist.

„Achtung, Klimakleber: Der Kapitalismus rettet die Welt.“ Mit diesen provokanten Worten begann die Fachkonferenz „Die CO2-freie Fabrik“, die vom 20. bis 21. Juni in Wetzlar tagte. Wie diese umzusetzen sei, darüber sinnierten die Großen und die Kleinen gemeinsam: multinationale Konzerne, kleine Startups und mittelständische, vorwiegend familiengeführte Unternehmen. 21 Vorträge, eine Betriebsbesichtigung und etliche Gespräche später war klar: die versammelten (fast ausschließlich männlichen) Vertreter meinen es ernst; um im Konferenz-Jargon zu bleiben, they mean business …“

So einfach ist es natürlich nicht, es gibt jede Menge …

„Widersprüche und Zielkonflikte

Trotzdem verträgt sich das Motiv der Gewinnerzielung nicht so einfach mit der „Rettung der Welt“, die Transformation erfolgt im Spannungsfeld vielfacher Widersprüche, wie Marxisten es ausdrücken würden. In der Sprache der Betriebswirte: Zielkonflikte. Auch davon wissen die bei der Konferenz anwesenden Fachleute ein Lied zu singen.

Nicht nur, dass Wachstum CO2- Einsparungen neutralisieren kann …“

Hier der gesamte Artikel: 230705 Die Herren meinen es ernst

Imperialismus, Kapitalismus, Sozialismus und der ganze Rest

Zum ersten Mal hatte ich die Gelegenheit dazu, meine Thesen in einem größeren Kreis zu diskutieren. Das war eine sehr interessante und anregende Erfahrung. Ich erhielt anfangs fast durchweg positives Feedback.

In der vertiefenden Diskussion wurden aber sehr schnell unterschiedliche Sichtweisen deutlich. Deswegen habe ich nun versucht zusammenzufassen, worin sich meine Position eigentlich von anderen anti-kapitalistischen Einschätzungen unterscheidet. Wenn ich diese richtig wiedergegeben habe, gibt es da doch enorme Differenzen, wie die unten folgende Tabelle zeigt.

Dabei würde mich vor allem sehr interessieren, welche Alternativen zum Organisationssystem Nationalstaat und zu einer sozial-ökologischen Transformation in nationalen Rahmen es aus links-anti-kapitalistischer Sicht gibt.

Die grundsätzlich positive Aufnahme meiner Gedanken führe ich darauf zurück, dass sich aus meinem Ansatz eine sehr viel praktischere und weniger depressive Handlungsperspektive ergibt als aus den gängigen linken Analysen, die einen zudem immer wieder in das Bündnis mit dem keineswegs wohlwollenden Hegemon treiben.

Meine Suche nach Alternativen begann ja gerade, weil ich zunehmend eine Diskrepanz zwischen der beobachteten Realität und den Einschätzungen und politischen Haltungen des „linken Spektrums“ wahrnahm, und ich mich dort überhaupt nicht mehr aufgehoben fühlte.

Bei den heterodoxen Ökonomen, von denen die meisten nicht in erster Linie den Sozialismus, sondern eine ausgewogene erfolgreiche Volkswirtschaft im Sinn haben, bei Michael Hudson, für den eine solche Volkswirtschaft sozialistisch ist bzw. sein muss, bei geopolitischen Analysten, die sich nicht eindeutig traditionell rechts oder links einordnen lassen, beim Vergleich der Verlautbarungen der unterschiedlichen weltpolitischen Akteure, der konkreten Beschäftigung mit der Tagespolitik und deren  Vorgeschichte, bei marxistischen Ökologen u.v.m. wurde ich fündig und entdeckte eine für mich ganz neue Welt. Aber nun zum Positionenvergleich:
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Paradigmenwechsel

Hier ein weiteres Kapitel aus meinem geplanten Opus:

Als 68er waren wir nicht die erste Generation, die der Faszination des Marxismus erlagen. Das Versprechen war, im Gesamtzusammenhang verstehen zu können, was die Welt im Innersten zusammenhält: Die Menschwerdung durch Arbeit, die Entwicklung der Mensch-Natur-Beziehungen, der Beziehungen der Menschen zueinander und der kulturellen und politischen Verhältnisse im Zusammenhang mit den Produktionsverhältnissen im Laufe der Geschichte, die Ungleichheit, die Ungerechtigkeiten und die Kämpfe. Die konkrete Utopie. Und was zu tun ist, um dorthin zu gelangen.

Gräber/Wengrow1 zeigen an archäologischen Funden, wie viel komplexer das alles im Vergleich dazu ist, wie wir es beim Marx/Engels Studium gelernt bzw. verstanden haben. Denn vermutlich hätten die beiden – konfrontiert mit der Faktenlage – alles viel differenzierter gesehen. Weiterlesen

Sozialismus oder Barbarei?

Das ist das zweite Kapitel meines Buchprojekts.

Inhaltsverzeichnis
2 Sozialismus oder Barbarei?…………………………………………………………………………………………………1
2.1 Ohne Sozialismus geht es nicht…………………………………………………………………………………….1
2.2 Keine Emanzipation im Zentrum ohne die der Peripherie………………………………………………..3
2.3 Parasitäre Vergesellschaftung……………………………………………………………………………………….5
2.4 Rentiers sind so alt wie die menschliche Zivilisation……………………………………………………….8
2.5 Eingehegter Kapitalismus?…………………………………………………………………………………………11

Ein Ausschnitt daraus:

Es ist nicht schwer, die Aufgabenstellung für sozialistische Politik zu formulieren.

Es muss lokal und weltweit konkret gelingen und dauerhaft gesichert werden, dass

  • Arbeit so gestaltet wird, dass sie gesellschaftlich nützlich ist,

  • Wirtschaft und Gesellschaft so strukturiert sind, dass ein Maximum an gesellschaftlich nützlicher Arbeit geleistet werden kann,

  • Arbeit gerecht verteilt und entlohnt wird,

  • die Ergebnisse dieser Arbeit so verteilt werden, dass sie der Bevölkerungsmehrheit und nicht einigen wenigen zugute kommt, und

  • die Reproduktion der Gemeinschaft und die natürlichen Voraussetzungen menschlichen Wirtschaftens, insbesondere ihre Energiebasis, auf einer zukunftsfähigen Grundlage stehen.

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Capital and Imperialism 2

Im April schrieb ich den folgenden Artikel (eine Vorversion veröffentlichte ich im Februar auf unserem Blog) in der Hoffnung, ihn anderswo veröffentlichen zu können. Leider kam es nicht dazu.

Die Entwicklungsländer des Südens und die Transformationsstaaten des ehemaligen Ostblocks brauchen „uns“, die westlichen Industriestaaten: unser Know-How, unsere Technologie, unser Kapital, unsere liberale Demokratie, unser Bildungssystem, unsere Entwicklungshilfe, unsere freiheitlichen Werte und Kultur, unsere Märkte.

Diese Selbstverständlichkeiten scheinen nun jäh in Frage gestellt, seitdem die große Wirtschaftskrise nicht, wie erwartet, in erster Linie das sanktionierte Land sondern die Sanktionierer selbst trifft, und der gesamte Süden zwar mehrheitlich Russlands Ukraine-Krieg verurteilte, sich aber trotz erheblichen Drucks weigerte, sich den Sanktionen anzuschließen, wie Michael Hudson hier erläutert.

Die ganze Welt isoliert Russland. Quelle: https://twitter.com/joostbroekers/status/1507745844644257806

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Le Pen und unser Weltbild – Vorschlag für eine Debatte

Wer debattiert mit?

Diana Johnstone schrieb:

„In einem imaginären anderen Kontext hätte ein Mélenchon einen Kompromiss mit Le Pen vorschlagen können, um Macron zu besiegen und ein etwas sozialeres Programm zu verwirklichen. Da sich die beiden in der entscheidenden Frage der Außenpolitik – insbesondere der Vermeidung eines Krieges mit Russland – weitgehend einig waren, wäre es vielleicht möglich gewesen, gemeinsam eine Art „gaullistische“ Politik auszuarbeiten, die den Einfluss der extremen Mitte mit ihrer unerschütterlichen Loyalität zum Atlantischen Bündnis brechen würde. Dies würde nicht zu einer „Enteignung der Macht“ führen, sondern lediglich die Dinge aufrütteln. Es wäre die Wiedereinführung von Alternativen ins politischen Leben. Aber in Wirklichkeit hat Mélenchon die Wahl an Macron abgegeben. Und jetzt will er die Opposition gegen Macron anführen. Aber das tun auch Marine Le Pen und Eric Zemmour.“ (Übers. d. V.)

 

Zu einem evtl. Bündnis zwischen Mélanchon und Le Pen folgen nun Statements*

des linksliberalen,             des sozialistischen und          des anti-imperialistischen Lagers:

                  

*Die Statements sind aus meiner Kenntnis der aktuellen Debatten zusammengestellt. Vermutlich werden sie nirgends in dieser Reinkultur vertreten. Und insofern wird fast jede/r irgendeine Mischung dieser Thesen vertreten. Deswegen muss man ja darüber diskutieren. Über die Plausibilität der jeweiligen Aussagen genauso über die Stimmigkeit des Gesamtbildes.Die Bilder sind einfach nur zum Aufpeppen da.

 

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Zum Ausstieg des Linksbündnisses aus der Marburger Regierungskoalition

Zur konkreten Manifestation eines Grundsatzdilemmas, oder: Wie man sich politisch entmachtet und noch gut dabei fühlt.

Gott schenke mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Gelassenheit, die Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann und die Weisheit, beides von einander zu unterscheiden.“ (Motto der anonymen Alkoholiker). Ich wünsche mir zusätzlich die Gnade, in meinem Leben nicht allzu viele Dinge tun zu müssen, die meine wichtigsten Werte verletzen.

Kaum war die Marburger Linksfraktion als Teil von Marburgs Regierungskoalition im Amt, kam sie in die schwerste Situation, in die ein/e Politiker*in mit Grundsätzen kommen kann: trage ich einen Beschluss mit, der gegen meine Grundprinzipien verstößt, um im Amt zu bleiben? Und so wurde nach 12 Tagen die Koalition aufgekündigt.

Die Frage, ob ich Gewerbesteuerkürzungen für eine multinational agierende Pharmafirma mittragen kann, wäre in meiner Jugend für mich ein ‚No-Brainer‘ gewesen: selbstverständlich nicht. Als anti-kapitalistische Linke kann ich doch so etwas nicht unterstützen! Weiterlesen

Die Linke, Ökonomie und die MMT (Marx, MMT und linke Strategie – 1)

Der Artikel erschien am 16. November 2021 bei Makroskop

Warum ein Katalog guter Forderungen, moralische Argumentation, Identitätspolitik und abstrakte Systemkritik kein Ersatz sind für ein fundiertes ökonomisches Konzept.

Ohne Ökonomie geht nichts. Linke streiten für gute Arbeit, bezahlbare Wohnungen, eine intakte Umwelt, sichere Renten, gute Bildung und ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle. Aber beim Thema Geld ist dann Schluss. In der Regel ist nichts da. Und wer diese Forderungen stellt, muss sich ständig mit dem Vorwurf auseinandersetzen, man wolle mit vollen Händen das sauer verdiente Geld anderer Leute ausgeben.

Da kommt die Modern Monetary Theory (MMT) ins Spiel.

Der MMT zufolge haben „Staatsschulden“ eine völlig andere Qualität als die Schulden eines Betriebes oder Haushalts. Ein Staat mit eigener Währung setzt als Souverän das Geld überhaupt erst einmal in die Welt. Während alle anderen Akteure nach dem Prinzip der schwäbischen Hausfrau wirtschaften müssen, sind deswegen die möglichen Staatsausgaben – so die MMT – in Wirklichkeit nicht durch eine bestimmte Geldmenge sondern durch die verfügbaren realen Ressourcen begrenzt.

So ergibt sich eine völlig neue Perspektive für politisches Handeln. Weiterlesen

Anatol Lieven zu Kapitalismus, Nationalstaat, Klimawandel

Ich habe gelesen:
Lieven, Anatol. Climate Change and the Nation State. Penguin Books Ltd. Kindle-Version, erschienen im März 2020

Wie es der Titel sagt, begründet der ‚politische Realist‘ Lieven, warum Nationalstaaten und der nationale Zusammenhalt der jeweiligen Bevölkerungen nötig sind, um den Klimawandel und dessen Folgen zu bekämpfen. Er hält es für einen fatalen Fehler, dass viele Klimaaktivisten Nationalstaaten als reaktionär und Bedrohung für den Frieden ansehen. Auf der anderen Seite seien viele rechtspopulistische Nationalisten ‚Klima-Leugner‘, obwohl sie eigentlich erkennen müssten, dass die Folgen des Klimawandels, die Millionen Menschen zur Migration zwingen werden, die Realisierung ihres Wunsches, in dem jeweiligen Nationalstaat unter sich bleiben zu können, massiv bedroht.

Aber auch die Verknüpfung von Klimaaktivismus und grundsätzlichem Antikapitalismus hält er für blauäugig. Weiterlesen