Einige Gedanken zur Lage (mit Michael Hudson)

Tiefste Verunsicherung in dieser neuen Weltlage ist kein angenehmer Zustand. Damit werden wir, wenn wir nicht völlig verbohrt sind, in der nächsten Zeit leben müssen. Ein Versuch, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Michael Hudsons Aufsatz vom 8.2.2022 hilft mir dabei.(Übersetzungen von mir mit deepL)

1. Es geht um den ökonomischen Kampf um Einflusssphären, vermutlich auf Leben und Tod

Dazu Hudson:

„Das heutige Sanktionsregime ist nach innen gerichtet, um Amerikas NATO- und andere westliche Verbündete daran zu hindern, mehr Handel und Investitionen mit Russland und China zu tätigen. Das Ziel ist nicht so sehr, Russland und China zu isolieren, sondern vielmehr, diese Verbündeten fest in Amerikas eigenem wirtschaftlichen Orbit zu halten.“

Es ist meiner Meinung nach mehr als das: Das Ende der 500-jährigen Kolonisierung der Welt, die immer auch eine brutale, rassistisch-ideologische Unterwerfung und nicht nur eine ökonomische war.

2. Russland und China haben kein ökonomisches Interesse an der Eroberung des Westens sondern an friedlichem Handel

Das liegt daran, dass die beiden Länder im Gegensatz zu Europa und den USA, wirtschaftlich nicht auf „ein Außen“ (vergl. hier) angewiesen sind, zumindest, wenn sie sich verbünden, was sie zum Auftakt der Olympiade ja offiziell getan haben.

3. Die US-Wirtschaft: Petrodollar – Militär Deindustrialisierung Rentenökomie

Dazu einige Zitate von Hudson:

„Die einzige Möglichkeit für die Vereinigten Staaten, ihr internationales finanzielles Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, besteht darin, Monopolpreise für ihre Exporte von Waffen, patentierten Arzneimitteln und Informationstechnologien festzulegen und die Kontrolle über die lukrativsten Produktions- und potenziell rentabelsten Sektoren im Ausland zu erwerben – mit anderen Worten, die neoliberale Wirtschaftspolitik in der ganzen Welt in einer Weise zu verbreiten, die andere Länder dazu zwingt, von US-Krediten und -Investitionen abhängig zu sein.“

„Trotz der weltweiten Bemühungen, die Erwärmung des Planeten zu verlangsamen, betrachtet die US-Administration Öl weiterhin als Schlüssel zu Amerikas wirtschaftlicher Vorherrschaft. Aus diesem Grund weigert sich das US-Militär immer noch, der Aufforderung des Irak, das Land zu verlassen, Folge zu leisten, und kontrolliert mit seinen das irakische Öl, und deshalb hat es mit den Franzosen vereinbart, Libyen zu zerstören, und hat immer noch Truppen in den Ölfeldern von Syrien. Näher an der Heimat: Präsident Biden hat Offshore-Bohrungen genehmigt und unterstützt Kanadas Ausbau der Athabasca-Teersande, des umweltschädlichsten Öls der Welt.“

„Neben den Öl- und Lebensmittelexporten tragen auch die Waffenexporte zur Finanzierung der amerikanischen Militärausgaben auf den 750 Stützpunkten im Ausland bei. […] Aber ohne einen ständigen Feind, der ständig vor den Toren droht, fällt die Existenz der NATO auseinander. Wozu sollten die Länder U-Boote, Flugzeugträger, Flugzeuge, Panzer, Raketen und andere Waffen kaufen?“

„Die Vereinigten Staaten haben sich seit den 1980er Jahren von dieser traditionellen Industriepolitik verabschiedet. Sie zwingen ihrer eigenen Wirtschaft die neoliberale Politik auf, die das Pinochet-geprägte Chile, das Thatcher-geprägte Großbritannien und die postindustriellen ehemaligen Sowjetrepubliken, das Baltikum und die Ukraine seit 1991 de-industrialisiert hat. Der stark polarisierte und verschuldete Wohlstand basiert auf der Aufblähung der Immobilien- und Wertpapierpreise und der Privatisierung der Infrastruktur.

Dieser Neoliberalismus war der Weg zu einer gescheiterten Wirtschaft und in der Tat zu einem gescheiterten Staat, der unter Schuldendeflation, steigenden Wohnungspreisen und Mieten bei sinkenden Eigentumsquoten sowie exorbitanten medizinischen und anderen Kosten zu leiden hat, die aus der Privatisierung dessen resultieren, was andere Länder kostenlos oder zu subventionierten Preisen als Menschenrechte anbieten – Gesundheitsversorgung, Bildung, Krankenversicherung und Renten.“

4. Warum geht es gegen Russland?

Dazu Hudson:

„Dies ist der Hintergrund für die Wut der USA über ihr Versagen, sich Russlands Ölressourcen zu bemächtigen – und darüber, dass Russland sich auch militärisch befreit hat, um seine eigenen Waffenexporte zu entwickeln, die jetzt in der Regel besser und viel billiger sind als die der USA. Heute befindet sich Russland in der Lage des Irans von 1954 und 1979. Nicht nur, dass seine Ölverkäufe mit denen von US-LNG konkurrieren, Russland behält auch seine Ölexporterlöse im eigenen Land, um seine Reindustrialisierung zu finanzieren und so die Wirtschaft wieder aufzubauen, die durch die von den USA geförderte Schock-„Therapie“ der 1990er Jahre zerstört wurde.“

5. Warum geht es gegen China?

„Wo ist Amerikas neoliberaler Traum vom Kalten Krieg gescheitert? Zunächst einmal folgte China nicht der Politik der Weltbank, die Regierungen dazu anzuhalten, Kredite in Dollar aufzunehmen, um US-Ingenieurbüros mit der Bereitstellung von Exportinfrastruktur zu beauftragen. Das Land industrialisierte sich auf die gleiche Weise wie die Vereinigten Staaten und Deutschland im späten 19. Jahrhundert: Durch umfangreiche öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, um Grundbedürfnisse zu subventionierten Preisen oder kostenlos bereitzustellen, von der Gesundheitsfürsorge und dem Bildungswesen bis hin zu Transport und Kommunikation, um die Lebenshaltungskosten für Arbeitgeber und Exporteure zu minimieren. Vor allem aber vermied China den Schuldendienst im Ausland, indem es sein eigenes Geld schuf und die wichtigsten Produktionsanlagen in eigener Hand behielt.“

6. Die Verbündeten und die dritte Welt haben nun eine Wahl

Dazu Hudson:

„Amerikas zunehmender Druck auf seine Verbündeten droht diese aus dem US-Orbit zu drängen. Über 75 Jahre lang hatten sie kaum eine praktische Alternative zur US-Hegemonie. Doch das ändert sich jetzt. Amerika verfügt nicht mehr über die Währungsmacht und den scheinbar chronischen Handels- und Zahlungsbilanzüberschuss, der es ihm 1944-45 ermöglichte, die Regeln für den Welthandel und die Investitionen festzulegen. Die Bedrohung für die Vorherrschaft der USA besteht darin, dass China, Russland und Mackinders eurasisches Kernland bessere Handels- und Investitionsmöglichkeiten bieten als die Vereinigten Staaten, die von ihren NATO- und anderen Verbündeten immer verzweifeltere Opfer verlangen.“

7. Krieg

Die Nato muss sich nicht gegen imperialistische Mächte verteidigen, das ist Propaganda. Denn imperialistische Eroberungen liegen nicht im Interesse von China und Russland (siehe oben).

Andererseits können Mächte mit imperialistischen Interessen heute keine Kriege nach dem Schema des 1. Weltkrieges mehr führen, ohne die ganze Welt zu zerstören. Die Nato ist eigentlich überholt. Das sehen wir ja gerade: keiner will in der Ukraine gegen Russland kämpfen. Die heutige Kriegsführung läuft über Proxy-Kämpfer: man baut Jihadists oder Nazis auf, die die Länder brutal ins Chaos stürzen, welches man dann übernimmt. Oder, das gab es ja auch oft genug, man bombardiert, Länder, die sich nicht wehren können, ins absolute Chaos und von da an s.o. Dazu Hudson:

„Manchmal wird natürlich tatsächlich militärische Gewalt eingesetzt. Im Irak setzten erst George W. Bush und dann Barack Obama das Militär ein, um die Ölreserven des Landes sowie die Syriens und Libyens zu beschlagnahmen.“

9. Um den Handel der Verbündeten mit Russland und China zu unterbinden, versuchte man, Russland zu einem Angriffskrieg zu reizen. Ist Russland in diese böse Falle getappt?

Der Plan scheint nun geklappt zu haben, alle stehen im Westen nun stramm hinter den USA. Es gibt nur noch gut und böse, wer abweichende Meinungen vertritt, ist böse. Diejenigen, die nicht glaubten, dass sich Russland in diese Falle zwingen lässt, hatten unrecht. Und wieder mal, argumentieren nun viele, zeigt sich, Russland ist auch nicht besser als die USA. Es ist überhaupt naiv im Weltspiel der Kräfte an Alternativen zu glauben. Die sind doch alle gleich schlecht. Durch den Einmarsch in der Ukraine hat Russland sich auf die gleiche Ebene begeben wie die USA und ihre Verbündeten, obwohl es doch bisher immer auf das Völkerrecht gepocht hat.

Warum? Bilden die Machthaber dort sich wirklich ein, sie könnten eine ihnen freundlich gesonnene, zumindest aber neutrale Ukraine aufbauen?

Und werden wir nicht jetzt erst recht einen absoluten Kalten Krieg haben, komplett mit Finnland und Schweden in der Nato und einem neuen eisernen Vorhang? Und wird sich Russland, um die Grenze zu begradigen, das Baltikum gleich mit einverleiben? Wird das Ganze also schlimme Folgen für Russland und schlimme Folgen für ganz Europa haben? Oder sogar in einen heißen Krieg der beiden größten Nuklearmächte der Welt münden?

10. Dagegen spricht: Die wirkliche ukrainische und Nato-Gefahr

Was alle vermutlich unterschätzt haben, ist die Gefahr, die von der Ukraine ausgeht, von der ständigen Aufrüstung der Ukraine, den Plänen, den Donbass und die Krim gewaltsam zurückzuerobern, bis hin zum angekündigten Bau von Atomwaffen, über die vielen Bio-Labore des Pentagons in der Ukraine, der Ausbildung von Nazi-Gruppen zur Terrorisierung der Bevölkerung, die ideologische Gleichschaltung durch den Verbot russlandfreundlicher Medien; auch die anderen Dinge außerhalb der Ukraine selbst: Farben-Revolutionen in Weißrussland, Kasachstan (wie immer im Schatten völlig legitimer Protestbewegungen, man kennt das ja, will den jeder Protestierer gleich die Staatsgewalt aushebeln?), der Verweigerung von Sicherheitsgarantien, dem Aufstellen von Raketenabschussbasen immer näher an Russland, … Irgendwann muss man sich gegen Mobbing wehren und zurück schlagen, dass ist eine Erfahrung, die man in Mediationskreisen nicht gerne hört. Wie groß die Gefahr eigentlich war, kann man hier nachlesen. Der Ukraine- / Nato-Plan war u.a., zusammen mit Georgien und der Türkei das schwarze Meer kontrollieren zu können. Diese Marinebasis wurde nun zerstört.

Aber andererseits haben die vielleicht doch recht? Und wenn man sich auf die UN-Charta beruft, darf man dann einen Angriffskrieg führen, und einfach nur anders nennen? Ist Artikel 51 eine angemessene Rechtfertigung, um Artikel 2 nicht einzuhalten?

Und doch gibt es immer Situationen, in denen man sich nicht an die Gesetze hält, auch wenn man sie im Prinzip für richtig hält und begrüßt. Um das festzuhalten, muss man noch nicht einmal alle die Male aufzählen, in denen sich die USA und ihre Verbündeten konkrete Ausreden für ihre Gesetzesübertretungen ausgedacht haben bzw. gleich mit ihrer rules-based order einen Gegenentwurf zum etablierten Völkerrecht zu schaffen versuchen. Ich zumindest habe die freedom fries anlässlich des Irak Krieges nicht vergessen.
Keine Handlung findet im luftleeren Raum statt, es gibt immer eine Vorgeschichte, immer Machtrelationen, Caitlin Johnston erinnert uns daran.

11. Dagegen spricht die Art der russischen Kriegsführung

Im Gegensatz zu dem, was wir von den USA als shock and awe kennen, nämlich der wahllosen Bombardierung von Zivilisten und Militär und der völligen Zerstörung der militärischen und zivilen Infrastruktur etc., scheint Russland allen Anzeichen nach ‚soft‘ vorzugehen, zerstört nur militärische Ziele, geht menschlich mit den Soldaten um, und hat ‚nur‘ den härtesten Kampf gegen die Nazis angekündigt, deren ‚Namen sie kennen‘.

Ob das durchzuhalten ist, wird man sehen, ob das hilft, auch. Denn es ist ja wie hier bei uns. Sobald der Krieg da ist, schließen sich alle, die vorher Querelen miteinander hatten, gegen den Gegner zusammen. Bei uns scheint die antirussische Front zu stehen, von links nach rechts nichts als die schärfste Verurteilung von ‚Putins‘ Vorgehen, wird das nicht erst Recht in der Ukraine so sein?

12. Dagegen spricht: Im Gegensatz zu Russland brauchen wir das Außen

Wird sich nach Einsetzen des Katzenjammers die Lage bald drehen oder sind wir alle so verbohrt, dass wir gerne für ein Prinzip Opfer bringen?

Dazu Hudson:

„Europa wird Sanktionen auf Kosten steigender Energie- und Agrarpreise verhängen, indem es Einfuhren aus den Vereinigten Staaten Vorrang einräumt und auf russische, belarussische und andere Verbindungen außerhalb des Dollarraums verzichtet. Sergej Lawrow drückt es so aus: „Wenn die Vereinigten Staaten der Meinung sind, dass etwas ihren Interessen entspricht, können sie diejenigen verraten, mit denen sie befreundet waren, mit denen sie zusammengearbeitet haben und die ihren Positionen in der Welt entgegengekommen sind“.

Amerikas Sanktionen gegen seine Verbündeten schaden deren Volkswirtschaften, nicht denen von Russland und China.

Die Ironie liegt darin, dass die Sanktionen gegen Russland und China diesen Ländern letztlich eher geholfen als geschadet haben.“

13. Dagegen spricht: Europa und USA sind nicht die Welt

Der Rest der Welt weiß erstens, auf welcher Seite ihr Brot gebuttert ist und zweitens, dass die aktuell vergossenen Krokodilstränen rassistisch sind, wie M.K. Badrakumar und Mercouris richtig anmerken. Wieso regen die sich bei einem ‚weitestgehend zivilisierten‘ (wie ein ‚Journalist‘ sagte) Land wie der Ukraine so maßlos auf und interessieren sich nicht für all die anderen Opfer, die der US-Imperialismus zu verantworten hat?

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