Die Linke, Ökonomie und die MMT (Marx, MMT und linke Strategie – 1)

Der Artikel erschien am 16. November 2021 bei Makroskop

Warum ein Katalog guter Forderungen, moralische Argumentation, Identitätspolitik und abstrakte Systemkritik kein Ersatz sind für ein fundiertes ökonomisches Konzept.

Ohne Ökonomie geht nichts. Linke streiten für gute Arbeit, bezahlbare Wohnungen, eine intakte Umwelt, sichere Renten, gute Bildung und ein funktionierendes Gesundheitssystem für alle. Aber beim Thema Geld ist dann Schluss. In der Regel ist nichts da. Und wer diese Forderungen stellt, muss sich ständig mit dem Vorwurf auseinandersetzen, man wolle mit vollen Händen das sauer verdiente Geld anderer Leute ausgeben.

Da kommt die Modern Monetary Theory (MMT) ins Spiel.

Der MMT zufolge haben „Staatsschulden“ eine völlig andere Qualität als die Schulden eines Betriebes oder Haushalts. Ein Staat mit eigener Währung setzt als Souverän das Geld überhaupt erst einmal in die Welt. Während alle anderen Akteure nach dem Prinzip der schwäbischen Hausfrau wirtschaften müssen, sind deswegen die möglichen Staatsausgaben – so die MMT – in Wirklichkeit nicht durch eine bestimmte Geldmenge sondern durch die verfügbaren realen Ressourcen begrenzt.

So ergibt sich eine völlig neue Perspektive für politisches Handeln.

In ihrem MMT-Lehrbuch charakterisieren Mitchell u.a. ihren Ansatz als ‚Heterodoxe Wirtschaftstheorie‘ in der Tradition der Klassiker Smith, Ricardo und Marx, sowie Keynes,den ‚Post-Keynesianern‘, z.B. Joan Robinson, Hyman Minsky oder Michal Kalecki und Thorstein Verblen.

„Orthodoxe, neoklassische Ansätze untersuchen die Verteilung knapper Ressourcen angesichts unbegrenzter Bedürfnisse. Heterodoxe Wirtschaftstheorien befassen sich mit der sozialen Schöpfung und sozialen Verteilung der Ressourcen einer Gesellschaft.“

Das ist aber doch das, was Linke unbedingt verstehen müssen!

So verwundert es einerseits, dass die real existierende Linke – nicht nur in Deutschland – sich nur wenig für die MMT zu interessieren scheint und eher eine ablehnende Haltung dazu einnimmt. Denn aufbauend auf eine lange, eher links zu verortende Denktradition öffnet die Theorie den Blick für bisher verborgene fiskalpolitische Handlungsspielräume des Staates, auch und gerade für die Umsetzung des anstehenden und notwendigen sozial-ökologischen Transformationsprozesses.

Andererseits widerspricht es unserem Alltagsverständnis und den gängigen ökonomischen Theorien, dass für einen Staat, im Gegensatz zu allen anderen, Geld kein knappes Gut ist, das erst verdient werden muss, ehe man es ausgeben kann. Ohne Aussaat keine Ernte, ohne Arbeit kein Geld, alle Schulden – private oder staatliche – müssen eines Tages zurückgezahlt werden.

Deswegen gilt die MMT unter linken Ökonomen als unseriös. So unterstellte vor kurzem z.B. Rudolf Hickel, ihre Anhänger behaupteten, man könne „im Schlafwagen“ zur „Endstation ökologischen Wohlstands“ kommen. Das sei ein verhängnisvoller Irrtum.

Auch im Oxiblog erschien ein MMT-kritischer Artikel, der der MMT die Obsession mit dem Zentralbankwesen vorwirft, während sie die Klassenfrage ignoriere. Es gehört schon viel Chuzpe dazu, eine Theorie zu kritisieren, ohne wesentliche Literatur dazu zur Kenntnis zu nehmen. Und was kann wesentlicher als das MMT-Lehrbuch sein? Dort entwickeln die Autoren z.B.eine Inflationstheorie, deren Bestandteil die Klassenkämpfe sind (Vergl. MMT and Power von Bill Mitchell). Und weiter: das Buch von Mitchell und Fazi ‚Reclaiming the State‘ handelt vom Zusammenbruch der Wohlfahrtsstaaten in den 70ern, dem Aufstieg des Neoliberalismus und der unrühmlichen Rolle, die Linke dabei teilweise gespielt haben. Im zweiten Teil des Buches entwickeln die Autoren eine Alternative, nämlich die, den Staat zurückzufordern. Und Überraschung! Der zentrale Akteur in diesem Szenario ist nicht die Zentralbank.

Von links kritsiert wird auch das Staatsverständnis der MMT-Ökonomen:

Diese scheinen ja im Prinzip die Rückkehr zu einem keynesianischen Wohlfahrtsstaat mit einer aktiven Fiskalpolitik vorzuschlagen. Wurde dieser reformistische Traum nicht endgültig mit der Krise der 1970er Jahre zerschlagen?

  • Kann unter Globalisierungsbedingungen ein Nationalstaat überhaupt noch die dafür erforderliche Durchsetzungsmacht entwickeln? Brauchen wir nicht demokratische transnationale Institutionen, die die Interessen der Benachteiligten zumindest in der EU, besser noch überall auf der Welt vertreten und den Reichtum weltweit umverteilen?
  • Und was soll das für ein Staat sein, der da handelt? Der ideelle Gesamtkapitalist? Ist unser Staat nicht schon längst fest in der Hand der kapitalistischen Eliten? Und dieser Staat soll nun im Sinne der Bevölkerungsmehrheit tätig werden?
  • Selbst wenn er das täte, kann ein so mächtiger Staat demokratisch sein, ist es nicht besser, dezentrale Strukturen auf der einen und globale auf der anderen Seite aufzubauen?
  • Und tendiert ein Nationalstaat denn nicht nur zu autoritären Verhältnissen im Inneren sondern auch zu imperialem Verhalten nach außen? Ist das nicht das Gegenteil von dem, was wir heute brauchen, nämlich internationale Solidarität und globale Kooperation zur Lösung der drängenden Probleme der Menschheit?

Diese politischen Aspekte sind nicht direkt Gegenstand der MMT. Ihre Vertreter beanspruchen für sich, dass sie die Verhältnisse in modernen Staaten mit Fiat-Währungen makroökonomisch richtig beschreiben, analysieren und verstehen. Empirisch und in der Praxis bestätigten sich ihre Erkenntnisse, ob die Beteiligten dies nun so sähen oder nicht. Aus der Analyse folge aber nicht automatisch eine bestimmte Politik. Diese sei vielmehr abhängig von den Werten und Zielen der politischen Akteure. Die MMT zeige, was möglich wäre, sie liefere keine Gebrauchsanweisung.

Und möglich sei, dass eine moderne Regierung, die als Souverän eine Fiat-Währung herausgibt, das Produktions- und Beschäftigungsniveau durch öffentliche Ausgaben beeinflussen kann und bei öffentlichen Ausgaben nicht dem finanziellen Zwang zu einem ausgeglichenen Haushalt unterworfen ist.

Die Mehrheit der Linken geht, wie der Mainstream, von der grundsätzlichen Notwendigkeit ausgeglichener Staatshaushalte aus. Sie akzeptieren, dass der Staat zu wenig Geld hat. Das deswegen, weil die oberen Schichten sich unter kapitalistischen Verhältnissen (und wegen dieser) einen Großteil des erarbeiteten Reichtums aneignen und ihn so dem Zugriff der Allgemeinheit entziehen. Diese extrem ungerechte Situation kann (außerhalb der großzügig zu nutzenden engen Spielräume des Staats) ohne Inflations-Gefahr und crowding-out(Verdrängung privater Investitionen) nur geändert werden, indem im ersten Schritt der gesellschaftliche Reichtum umverteilt wird, und die Staatsausgaben auf die für die arbeitende Bevölkerung wichtigen Felder umgelenkt werden (Butter statt Kanonen). Wer behaupte, der Staat könne einfach so mehr Geld zur Finanzierung wünschenswerter Aufgaben ausgeben, ohne gleichzeitig seine Einnahmen zu erhöhen, kann demzufolge nur ein Scharlatan sein.

Aber auch durch Umverteilung ist es nach dieser Auffassung dem staatlichen Sektor auf Dauer nicht möglich, die krisenhafte Dynamik der privaten Kapitalakkumulation wirklich zu beeinflussen. Arbeitslosigkeit und die übrigen negativen sozialen und ökologischen Folgen der Produktion liegen letztlich in der Hand des Kapitals. Das Kapital schwingt die Peitsche und deswegen muss das System durch einen neuen Gesellschaftsvertrag hinsichtlich der Produktions- und Verwendungsentscheidungen abgelöst werden. Daran kann auch die MMT nichts ändern.

Marx und die MMT scheinen also ganz und gar nicht zusammen zu passen.

Als Bürgerin, die sich weniger Zerrissenheit zwischen Familie und Beruf, mehr Kollegen und bessere Bezahlung wünscht, bin ich ratlos. Natürlich ist es mehr als ungerecht, dass die Reichen immer reicher werden. Können meine Anliegen also im Grunde genommen erst dann angegangen werden, wenn eine substantielle Reichensteuer durchgesetzt wurde? Muss ich erst einmal dafür kämpfen? Aber wie? Mit dem Nudelholz in der Hand auf die Kaiman-Inseln fliegen? Das Motto ‚tax the rich‘ ist ja inzwischen auch im Establishment en vogue – Alexandria Ocasio-Cortez trug zu einem Ball ein todschickes Kleid mit dieser Aufschrift -, vermutlich aber nur, weil die Regierungen an große Teile des Vermögens der Reichen gar nicht dran kommen.

Auch wenn nicht alle schlechten Arbeitsbedingungen auf die Eigentumsform zurückführbar sind, leuchtet ein, das das kapitalistische Profitsystem die Misere zu einem großen Teil mit verursacht. Aber schon die Privatisierung des lokalen Krankenhauses rückgängig zu machen, erscheint als riesengroße Herausforderung. Wenn aber der erfolgreiche Kampf gegen die Erderhitzung von viel größeren Systemänderungen abhängt, dann gute Nacht!

Und wie könnte denn ein nicht-profitorientiertes System als Alternative zum totalen Chaos aussehen? Wer sitzt danach an den Schalthebeln? Bleibt unsere Volkswirtschaft auf der Höhe des technologischen Fortschritts? Und wie wird sie dann organisiert? Keine Planwirtschaft, das hat nicht geklappt, China ist zu autoritär und zu kapitalistisch, …Genossenschaften sind cool…, das wird sich dann schon ergeben?!?

Die „kleine Revolution“ in Zimbabwe, wo die weißen Bauern enteignet und durch schwarze ehemalige Mitstreiter Mugabes ersetzt wurden, die von Landwirtschaft keine Ahnung hatten, führte zur Ernährungskatastrophe und Hyperinflation. Was würde erst in einer komplizierten Volkswirtschaft wie unserer geschehen? Eigentlich wünsche ich mir keine Revolution. Am besten ich finde mich mit der Realität ab, im Vergleich zu anderen Menschen auf der Welt geht es mir ja sehr gut.

So bieten mir linke Parteien keine wirkliche Alternative: Ein Katalog guter Forderungen, moralische Argumentation und abstrakte Systemkritik sind für mich kein Ersatz für ein ökonomisches Konzept. Und wer die gefährliche, gut organisierte und mit dem Staatsapparat verwobene politische Rechte faktisch gleichsetzt mit den Anhängern des Rechtspopulismus, macht sich sein eigenes Klientel zum Feind.

Aber dennoch: „Ich will wirken in dieser Zeit“, wie Käthe Kollwitz schrieb.

Dazu Bill Mitchell: (Übersetzung von mir):

„Meine Arbeit an der Entwicklung der MMT bedeutet keineswegs, dass ich das kapitalistische Produktionssystem als den besten Weg zur Förderung des menschlichen Wohlstands unterstütze. Das tue ich nicht.“

Jedoch:

„Auch in einem sozialistischen Nirwana werden wir wahrscheinlich eine Währung und eine währungsausgebende Behörde brauchen. Die MMT-Prinzipien werden dann genauso gelten wie heute.

Indem wir also für ein Verständnis der MMT-Prinzipien eintreten, bereiten wir die Bürger auf wünschenswertere zukünftige Übergänge in der Produktionsweise vor und bringen ihnen bei, wie sie das gegenwärtige (kapitalistische) System, in dem sie leben, am besten verstehen können.

Dieses Verständnis stärkt die Bürger in den politischen Auseinandersetzungen, weil es die politische Klasse zwingen wird, andere Fragen zu beantworten, und die Standardantworten, die jetzt gegeben werden („die Regierung hat nicht genug Geld“ usw.), nicht mehr akzeptiert werden.

Das wird die Gesellschaft dramatisch verändern, schon jetzt.“

Davon handelt meine kleine Serie ‚Marx, MMT und linke Strategie“.

Fortsetzung (23.11.2021): Marx und das Geld

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