Hyperimperialismus – ein gefährliches, dekadentes Stadium des Kapitalismus

Das Tricontinental: Institute for Social Research hat eine sehr interessante Studie herausgegeben: Hyper-Imperialism: A Dangerous Decadent New Stage. Besonders beachtenswert sind die differenzierten datenuntermauerten Analysen des unter US-Führung konsolidierten imperialistischen Blocks und des Globalen Südens, wie ich sie bisher nirgendwo sonst gesehen habe.
Dem imperialistischen Block werden 49 Staaten zugeordnet, die je nach dem Grad ihrer Einbindung ins imperialistische Zentrum in 4 Kreise unterteilt werden. Sie alle haben eine mehr oder weniger brutale Vergangenheit als Kolonialmächte. Der „Rest der Welt“ wird pauschal als „Globaler Süden“ bezeichnet, auch wenn Russland und Belarus dazu gerechnet werden, und wird in 6 Gruppen eingeteilt. Trotz ihrer großen Verschiedenheit haben alle dort eingeordneten Staaten gemeinsame Interessen, die in der Studie identifiziert werden.
Schwindelig kann einem werden beim Vergleich der Militärausgaben und -stützpunkte. Weiterlesen

Die Außenministerin von Südafrika zum IGH-Urteil

Nach der Urteilsverkündung gab Ministerin Naledi Pandor eine Pressekonferenz:

P.: Well by the fact that the court says „Remember that today we’re not deciding about the allegation of genocide, what we’re dealing with other provisional measures“ it’s clear that the court does say circumstances exist where it is plausible that genocidal acts have been committed. This of course means, once the merit case is addressed, and if the finding is that there has been genocide, those states that have aided and abetted become a party to Commission of an Infringement in terms of the convention.

Q.: Do you think Israel will conform to the orders laid down by the court today?

P.: I’ve never really been hopeful about Israel, but Israel has very powerful friends who I hope will advise Israel that they should act.

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Zur Entscheidung des Internationalen Gerichtshof zu Gaza

Nach diesem Bescheid kommt keiner mehr um den Vorwurf des Genozids mehr drum herum. Man kann das nicht mehr einfach mit einer wegwerfenden Geste abtun. „Genocide Joe“, die Parole, die Biden in seinem Wahlkampf folgt, gerufen von seiner demokratischen Jugend, ist höchstgerichtlich bestätigt worden, auch von der US-amerikanischen Richterin. Den Vorwurf des Genozids hat das Gericht für plausibel gehalten, denn das war die Voraussetzung dafür, Israel dazu aufzufordern, genozidale Handlungen zu unterlassen. Dazu gehört auch, dass Israel angehalten ist, den Verlautbarungen genozidaler Absicht seines Führungspersonals, auch seines Präsidenten, juristisch entgegenzutreten.

Das Gericht lässt sich von Israel in einem Monat berichten, inwieweit Israel seinen Anordnungen, die unmittelbar geltendes Völkerrecht darstellen, nachgekommen ist.

Die Konvention zum Völkermord ächtet auch ausdrücklich die Beihilfe. Waffenlieferungen an einen Staat, der dabei ist, einen Völkermord zu begehen, ist vermutlich Beihilfe. US-Führungspersonal (und auch deutsches) läuft Gefahr, sich der (justiziablen!) Beihhilfe schuldig zu machen.

Alles in allem ein großer Erfolg der Südafrikaner und dabei ein großer Schritt in Richtung multipolare Welt. Aber das Gericht ist nicht den letzten eigentlich logischen Schritt gegangen, nämlich einen sofortigen Waffenstillstand anzuordnen.

Es stimmt natürlich, dass das den Menschen in Gaza nicht unmittelbar hilft. Aber das hätte vermutlich die Anordnung eines Waffenstillstands auch nicht getan. Die USA und Israel haben sich schon immer über Völkerrecht hinweggesetzt. Aber sie finden immer weniger Unterstützer, und das stimmt hoffnungsvoll.

Es war nicht zu erwarten, dass das Gericht einstimmig dem südafrikanischen Antrag folgt, mit sechs Richtern mehr oder weniger aus NATO-Ländern (wenn man Japan und Australien dazuzählt). Ich hätte zumindest knappere Entscheidungen erwartet. Aber die Entscheidungen sind weitgehend einhellig ausgefallen. Nur die Richterin aus Uganda und der Israeli haben überhaupt dagegen gestimmt, wenn ich das richtig mitgekriegt habe. Das heißt, (fast) alle sind der südafrikanischen Argumentation gefolgt, dass ein Genozid droht. Die Belege für die Absicht haben dabei eine wesentliche Rolle gespielt (die Ansagen von Leuten aus Netanyahus Kabinett).

Nochmals Jörg Goldberg

Zu dem in der Zeitschrift Z erschienenen Artikel „Weltordnung zwischen Globalisierung und
Nationalstaaten“ von Jörg Goldberg habe ich nun einen 800-Wort Kommentar geschrieben, den ich zur Veröffentlichung an die Zeitschrift Z sende.
Hier eine Zusammenfassung des Goldberg-Artikels mit meinem nachfolgenden ausführlichen Text dazu.

Die Lektüre des Textes regte mich zu Widerspruch an: Geht es um Dissens oder Akzentverschiebungen? Das könnte nur eine weitere Diskussion klären.

In meinem Kommentar geht es um 4 Punkte:

1. Die Rolle des Staates im Kapitalismus
2. Den aggressiven Charakter des „wohlwollenden Hegemons“
3. Die Krise des US-dominierten internationalen Systems
4. Den Charakter der künftigen Weltordnung

Antwort auf Jörg Goldberg

Jörg Goldberg hat in der Zeitschrift Z vom Juni 2023 einen Artikel mit dem Titel „Weltordnung zwischen Globalisierung und Nationalstaaten“ geschrieben. Meine Antwort darauf ist relativ ausführlich ausgefallen.

Antwort auf Jörg Goldberg (Fassung vom 2.7.2023)

Jörg Goldbergs Analyse 1

Fragen 2

Superimperialismus 4

Der Staat als eigenständiger Akteur im Kapitalismus 5

Bipolare Welt und „goldenes Zeitalter des Kapitalismus“;
neoliberale Globalisierung und unipolarer Moment 6

Modernisierung des „Rests der Welt“ 7

Multipolarität 10

Perspektiven 11

Fazit  13

Quellenverzeichnis 15

Imperialismus, Kapitalismus, Sozialismus und der ganze Rest

Zum ersten Mal hatte ich die Gelegenheit dazu, meine Thesen in einem größeren Kreis zu diskutieren. Das war eine sehr interessante und anregende Erfahrung. Ich erhielt anfangs fast durchweg positives Feedback.

In der vertiefenden Diskussion wurden aber sehr schnell unterschiedliche Sichtweisen deutlich. Deswegen habe ich nun versucht zusammenzufassen, worin sich meine Position eigentlich von anderen anti-kapitalistischen Einschätzungen unterscheidet. Wenn ich diese richtig wiedergegeben habe, gibt es da doch enorme Differenzen, wie die unten folgende Tabelle zeigt.

Dabei würde mich vor allem sehr interessieren, welche Alternativen zum Organisationssystem Nationalstaat und zu einer sozial-ökologischen Transformation in nationalen Rahmen es aus links-anti-kapitalistischer Sicht gibt.

Die grundsätzlich positive Aufnahme meiner Gedanken führe ich darauf zurück, dass sich aus meinem Ansatz eine sehr viel praktischere und weniger depressive Handlungsperspektive ergibt als aus den gängigen linken Analysen, die einen zudem immer wieder in das Bündnis mit dem keineswegs wohlwollenden Hegemon treiben.

Meine Suche nach Alternativen begann ja gerade, weil ich zunehmend eine Diskrepanz zwischen der beobachteten Realität und den Einschätzungen und politischen Haltungen des „linken Spektrums“ wahrnahm, und ich mich dort überhaupt nicht mehr aufgehoben fühlte.

Bei den heterodoxen Ökonomen, von denen die meisten nicht in erster Linie den Sozialismus, sondern eine ausgewogene erfolgreiche Volkswirtschaft im Sinn haben, bei Michael Hudson, für den eine solche Volkswirtschaft sozialistisch ist bzw. sein muss, bei geopolitischen Analysten, die sich nicht eindeutig traditionell rechts oder links einordnen lassen, beim Vergleich der Verlautbarungen der unterschiedlichen weltpolitischen Akteure, der konkreten Beschäftigung mit der Tagespolitik und deren  Vorgeschichte, bei marxistischen Ökologen u.v.m. wurde ich fündig und entdeckte eine für mich ganz neue Welt. Aber nun zum Positionenvergleich:
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Der weiße Mann gegen den Rest der Welt

Michael Hudson über den neuen kalten Krieg

Ausschnitt aus einem seiner vielen Interviews, die er in der letzten Zeit gibt

Beginn der Übersetzung

Es gibt sehr wenig, was ein Zentralbanker tun kann, wenn der Westen einem völlig isolierten Land, im Prinzip den Krieg erklärt hat.
Die Antwort kam von Präsident Putin und von Außenminister Lawrow. Sie zeigten, wie Russland Handel treiben und sich das besorgen kann, was es braucht. Und genau darum geht es bei den jüngsten Treffen der BRICS-Staaten.
Russland hat erkannt, dass die Welt jetzt in zwei Hälften geteilt ist. Amerika und die NATO haben den Westen abgespalten. Im Grunde gibt es nun einen Bund der Weißen gegen den ganzen Rest der Welt.
Und der Westen hat gesagt, wir isolieren uns völlig von euch. Und wir glauben, dass ihr ohne uns nicht zurechtkommen könnt.
Nun, sehen Sie sich den Humor dieser Sache an. Russland, China, Iran, Indien, Indonesien und andere Länder sagen: Ha, ihr sagt, wir kommen ohne euch nicht aus? Wer beliefert eure Hersteller? Wer versorgt euch mit Rohstoffen? Wer liefert euer Öl und Gas? Wer liefert eurer Landwirtschaft, das Helium, das Titan, das Nickel?
Sie erkennen also, dass die Welt in zwei Teile zerbricht und Eurasien, wo sich der Großteil der Weltbevölkerung konzentriert, seinen eigenen Weg gehen wird. Weiterlesen

Frühstück der Autokraten Teil 2

Mein Artikel „Frühstück der Autokraten“ über das jüngste Treffen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) sollte ein Zweiteiler werden. Nachdem klar ist, dass er nur auf unserem Blog veröffentlicht wird, fehlt mir die Motivation, den zweiten Teil professionell auszuarbeiten. Aber die wesentlichen Inhalte sollen doch hier einmal festgehalten werden. Denn was sich dort tut, wird in den westlichen Medien kaum zur Kenntnis genommen. Wenn es zur Kenntnis genommen wurde, dann nur mit einem besonderen Framing, das zeigen sollte, wie isoliert Putin ist. Dem habe ich im ersten Teil einige O-Töne entgegengehalten, die zeigen sollten, dass es gute Gründe gibt, das zu bezweifeln.

Wer die Entwicklung ernst nimmt, ist der Neocon Robert Kagan, der darüber ein Buch geschrieben hat (The Return of History and the End of Dreams). Er beobachtet die Geschehnisse im asiatischen Raum mit Sorge. Denn es zeige sich, dass wirtschaftliche Entwicklung nicht automatisch zu liberal-demokratischen Systemen führe, wie man im Westen bisher angenommen habe. Seine These, dass wir uns in einem Zeitalter der Auseinandersetzung zwischen Autokratien und Demokratien befinden, ist ja inzwischen als offizielles Framing mainstream und auch Teil der NATO-Strategie 2022.

Aber was tut sich wirklich und wie sehen denn die Beteiligten selbst ihre Politik? Weiterlesen

Capital and Imperialism 2

Im April schrieb ich den folgenden Artikel (eine Vorversion veröffentlichte ich im Februar auf unserem Blog) in der Hoffnung, ihn anderswo veröffentlichen zu können. Leider kam es nicht dazu.

Die Entwicklungsländer des Südens und die Transformationsstaaten des ehemaligen Ostblocks brauchen „uns“, die westlichen Industriestaaten: unser Know-How, unsere Technologie, unser Kapital, unsere liberale Demokratie, unser Bildungssystem, unsere Entwicklungshilfe, unsere freiheitlichen Werte und Kultur, unsere Märkte.

Diese Selbstverständlichkeiten scheinen nun jäh in Frage gestellt, seitdem die große Wirtschaftskrise nicht, wie erwartet, in erster Linie das sanktionierte Land sondern die Sanktionierer selbst trifft, und der gesamte Süden zwar mehrheitlich Russlands Ukraine-Krieg verurteilte, sich aber trotz erheblichen Drucks weigerte, sich den Sanktionen anzuschließen, wie Michael Hudson hier erläutert.

Die ganze Welt isoliert Russland. Quelle: https://twitter.com/joostbroekers/status/1507745844644257806

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Frühstück der Autokraten Teil 1

Quelle: https://t.me/rocknrollgeopolitics/4742

Teil 1: Hier geht es zum 2. Teil

Im Osten formiert sich ein Gegenentwurf zum Nato-dominierten westlichen Modell internationaler Beziehungen. Das ist eine Tatsache, die wir hier – unabhängig ob wir diesen Gegenentwurf für sympathisch halten – zur Kenntnis nehmen sollten.

Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht das Kernland.Wer das Kernland beherrscht, beherrscht die Weltinsel. Wer die Weltinsel beherrscht, beherrscht die Welt.  (Sir Halford John Mackinder)

Als Weltinsel definierte Mackinder in seiner Heartland Theorie die zusammenhängenden Kontinente Europa, Asien und Afrika. Wer es schafft, diese riesige Landmasse zu einigen und zu erschließen, stellt die Dominanz der Seemächte infrage; zu seiner Zeit war das Großbritannien, heute die USA.

Wovor der Geograf 1904 warnte, könnte Realität werden. Von der westlichen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, ist dieser Einigungs- und Erschließungsprozess heute in vollem Gange. Aktueller Höhepunkt: das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) am 15. und 16. September in der usbekischen Stadt Samarkand, symbolträchtiger Mittelpunkt der historischen Seidenstraße und UNESCO-Welterbestätte. Weiterlesen