Das „intellektuelle und affektive ‚Betriebssystem‘ der Linken“

Peter Wahl bezeichnet sein kürzlich erschienenes Buch „Der Krieg und die Linken“ als Flugschrift, mit der er zum Verständnis des „intellektuellen und affektiven ‚Betriebssystems‘ der Linken“ beitragen möchte.

Zum Verteilen vor der Mensa ist Peter Wahls Flugschrift definitiv zu lang. Für ein Buch jedoch ist es ziemlich kurz, und komplexe Sachverhalte und Argumentationslinien werden darin kurz und knapp auf den Punkt gebracht. Das allein ist schon ein Grund, das Buch zu lesen.

Der Zweck einer Flugschrift ist es, möglichst viele Menschen von einem politischen Anliegen zu überzeugen, zumindest aber ihr Interesse zu wecken, sich genauer damit auseinanderzusetzen. Dieses Anliegen wird abgeleitet aus der Darstellung eines Problems und der komprimierten Analyse seiner Ursachen und möglicher Lösungswege. Was also ist das Anliegen des Autors? Der letzte Satz des Buches könnte klarer nicht sein:

„Auch wenn uns, um noch einmal Brecht zu zitieren, ‚die Worte bereits wie Asche in unserem Mund sind‘: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Es sei an der Zeit „wieder intellektuelle Gegenmacht gegen Bellizismus und Krieg aufzubauen“.

Peter Wahl bedauert, dass die gesellschaftliche Linke (verstanden als diejenigen, die die soziale Frage in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen und tendenziell kapitalismuskritisch eingestellt sind) in der Bewertung des Ukraine-Krieges zersplittert ist,
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Warum Klimapolitik ohne Frieden nicht gelingen kann

Wie ernst wird das Bündnis Sarah Wagenknecht den Klimaschutz? Wird sie – womöglich gemeinsam mit den Klimaleugnern der AfD – die deutschen Klimaschutzanstrengungen torpedieren?

Dazu schreibt Peter Wahl auf Makroskop:

Auch für die Lösung der Klima- und Umweltkrise, setzt das Programm auf „die Entwicklung innovativer Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale und naturverträgliche Wirtschaft der Zukunft.“ Allerdings ist das kein blindes Vertrauen in den Fortschritt der Produktivkräfte, sondern es wird auf die Risiken verwiesen, wenn Technik in die falschen Hände gerät (siehe nächsten Abschnitt). Einer ökologischen Wende auf dem Rücken der breiten Bevölkerung wird eine Absage erteilt, implizit damit auch Konzepten, die einen radikalen Wandel der Lebensweise ins Zentrum ihrer Klima- und Umweltstrategie stellen.

Fest steht: Auf dem umstrittenen Gebiet der Energiewende Konsensbildung, Transparenz der Entscheidungsprozesse, gerechter Interessensausgleich und Gemeinschaftssinn besonders wichtig. Das lässt sich zunächst in einem nationalen Rahmen weitaus einfacher bewerkstelligen als auf EU-Ebene oder gar global. Es braucht dazu jedoch einen gestaltenden Staat, der das Primat der Politik über die Wirtschaft durchzusetzen in der Lage ist.

Und wer torpediert international den Klimaschutz? Der Aggressor Putin und sein „Machtzirkel“ die ihre, vornehmlich auf dem Verkauf fossiler Rohstoffe beruhende, autokratische Machtstellung durch die weltweite Nachhaltigkeitswende bedroht sehen und, unfähig zu Strukturreformen, auf Militarismus und Chauvinismus setzen, wie z.B. Klaus Dörre schreibt? Die USA mit ihrem Anspruch auf full spectrum dominance, für deren Regierungen gleich welcher Couleur Diplomatie ein Fremdwort und Machtpolitik das einzige Mittel der Wahl seien, wie Jeffrey Sachs meint?

Für Klimaschützer geht es nicht um Schuldzuweisungen. Es geht darum, sich nicht nur weiterhin lokal und global für wirksame Klimaschutzmaßnahmen einzusetzen, sondern alles in unserer Macht stehende zu tun, um Diplomatie als Mittel zur Konfliktlösung und die gleichberechtigte Kooperation zwischen souveränen Staaten in den Mittelpunkt der Politik zu rücken. Nur so hat die notwendige sozial-ökologische Transformation überhaupt eine realistische Chance.

Nordstream 2 revisited Neufassung 20-2-23

Die ukrainische Tragödie

Heute erschien bei Makroskop mein Artikel auf Basis des gleichnamigen Buchs von Nikolai N. Petro. (Hier eine pdf-Version)

Der Autor weist nach, dass der Ukraine-Krieg ein „internationalisierte Bürgerkrieg“ ist, in den weder Russland, noch der Westen aus rein moralischen Erwägungen involviert sind.

Im Westen herrscht die Meinung vor, dass Putin in seinen Reden die gemeinsame slawische Vergangenheit mit den ukrainischen Bürgern beschwöre, um seine imperialen Interessen an der Krim und dem Donbass, und womöglich gar der gesamten Ukraine zu rechtfertigen.

Putin selbst hingegen bezeichnet die von Petro dargestellte „Auslöschung der russischen Kultur“ als „Genozid“ und leitet daraus sein Kriegsziel der „Denazifizierung“ ab. Das fand Bundeskanzler Scholz „lächerlich“. Aber, unabhängig von den Begriffen und davon, ob Putin die Situation nur als Vorwand nutzt – das westliche Narrativ blendet eine große Gruppe ukrainischer Bürger und deren Kultur vollkommen aus, wie Petro verdeutlicht.

Seit dem Maidan basiere, so Petro,

„die Kulturpolitik der ukrainischen Regierung […] auf der Annahme, dass die kulturelle Einheit nur durch die Auslöschung der russischen Kultur, Sprache und Identität innerhalb der Ukraine erreicht werden kann. Diese Annahme steht im Mittelpunkt der staatlichen Politik in den Bereichen Sprache, Religion und historische Bildung …“ (Übers. d. V.)

Dass die Ukraine zum Spielball geopolitischen Auseinandersetzung werden konnte, ist Petros Einschätzung zufolge hauptsächlich auf die tiefe Spaltung zwischen den galizischen und ost-ukrainischen Bevölkerungsgruppen zurückzuführen. Und so toben in der Ukraine zwei Konflikte – der nationale und der geopolitische.

Thesen zur Zeitenwende

Das sind unsere Überlegungen dazu

Ist die Menschheit wieder dort angelangt, wo sie vor gut 100 Jahren war, als große kapitalistisch-imperialistische Mächte gegen einander antraten, und Rosa Luxemburg fassungslos auf den (aus ihrer Sicht) Verrat der deutschen Sozialdemokraten reagierte, die im Reichstag den Kriegskrediten zustimmten? Weiterlesen

Der Dollar als Leitwährung

Der folgende Text ist aus meinem dritten Kapitel. Ich würde mich über kritisches Feedback freuen, weil ich selber nicht ganz zufrieden mit dem Text bin, vor allem scheint die Sache mit dem Petrodollar ja nicht zu stimmen – us

Textanfang:

Nirgendwo wird die Verquickung von Staatsmacht und Kapitalinteressen – auch heute noch – so deutlich wie am Status des Dollar als Leitwährung. Bei den Diskussionen um die Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen nach dem 2. Weltkrieg hatte John Maynard Keynes die Einführung einer internationalen Verrechnungsunion (ICU) mit einer Bancor genannten, an die Währungen der Teilnehmer gekoppelten Leitwährung vorgeschlagen, deren Wert an Gold gebunden sein sollte. Damit zusammenhängend sollte es Mechanismen geben, die eine zu starke Verschuldung und zu starke Gläubigerstellung einzelner Länder verhinderten.1

Mit diesen Vorstellungen konnte er sich nicht durchsetzen. Leitwährung wurde der, zunächst an den Goldstandard gekoppelte, Dollar. Das verlieh den USA direkte finanzielle Vorteile und große Macht. Aktuelles Beispiel ist die Leitzinserhöhung der US-Zentralbank, was der Europäischen Zentralbank aus verschiedenen Gründen nicht in dem Maße möglich ist. Das Ergebnis ist ein Run der Anleger auf den Dollar und ein Kursverfall des Euro und anderer Währungen.2 Weiterlesen

Sozialistische Politik heute – die antiimperialistisch-realistische Sicht

Es sollte ein Aufsatz werden, doch es wird ein Buch. Zwei Kapitel muss ich noch schreiben. Aber „as“ meinte, ich solle es schon mal unvollständig zur Diskussion stellen, was ich hiermit mit der Veröffentlichung des ersten Kapitels tue. Der Rest folgt nach und nach.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 als pdf

1 Sozialismus: Notwendig aber bedeutungslos?

Die Menschen machen“, wie Marx einmal sagte, „ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“(MEW 8: 115) und innerhalb ihrer Grenzen. Falls jedoch die sozialistische Arbeiterbewegung wieder ihre Seele, ihre Dynamik und ihre historische Initiative zurückgewinnen sollte, dann müssen wir als Marxisten das tun, was Marx ebenfalls getan hätte: die neue Situation anzuerkennen, in der wir uns befinden, diese realistisch und konkret (und auch historisch spezifisch) analysieren, dabei auch die Gründe für das Scheitern wie für die Erfolge der Arbeiterbewegung erkunden – und nicht zu formulieren, was wir gerne getan hätten, sondern was unter diesen Umständen getan werden kann.“1

1.1 Sieg des Kapitalismus?

Wir leben in verwirrenden Zeiten.

Marxisten sind davon überzeugt, dass der Kapitalismus eine vorübergehende Wirtschafts- und Gesellschaftsform ist, die gekennzeichnet ist durch den antagonistischen Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit. Daraus ergibt sich der historische Auftrag der Arbeiterklasse, durch organisiertes politisches Handeln die Macht zu ergreifen und sozialistische Gesellschaften zu schaffen, die den Kapitalismus überwinden. In diesen Gesellschaften können sich die Grundlagen für eine neue Gesellschaftsordnung entwickeln, einer Gemeinschaft, in der die Früchte der Arbeit allen Menschen in gleicher Weise zugute kommen, und die Entfremdung der Menschen von ihrer Arbeit, der Gesellschaft, sich selbst und der Natur aufgehoben werden kann. Marxisten sind davon überzeugt, dass die Vorstellung einer solchen – kommunistischen – Gesellschaft keine unerreichbare Utopie, sondern wissenschaftlich abzuleiten ist aus der Analyse der Geschichte und Gegenwart menschlicher Entwicklung, auf der Grundlage der Produktivkraftentwicklung. Im kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem reift das neue – sozialistische – heran.2

Wer als Sozialist diese Auffassung teilt und vielleicht zeitlebens zur Überwindung des Kapitalismus beizutragen strebte, ist heute enttäuscht.

Der Kapitalismus hat weltweit gesiegt. Alle wollen Kapitalismus, Globalisierung und Auslandsinvestitionen. In vielen Gegenden der Welt sind beeindruckende Wachstumszahlen zu verzeichnen, und der Lebensstandard vieler Menschen verbesserte sich stark. Sozialismus schien lange Zeit out zu sein. Weiterlesen

Offensiver Realismus

Dieser Artikel erschien am 6.4. auf Makroskop.

Wer es sich in dieser Zeit anzumerken getraut, dass es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion viele ‒ von den USA und ihren Verbündeten begonnene ‒ völkerrechtswidrige Sanktionen und Kriege gegeben hat und noch gibt, macht sich des Whataboutism schuldig.

In der westlichen Berichterstattung beginnt der Ukraine-Krieg am 24. Februar 2022. Grundlos und völlig unvermittelt überfiel Putin die Ukraine. Selbst jene, die den Kontext und die Vorgeschichte dieses schon lange schwelenden Konflikts kennen, sehen sich vor jeder anderen Äußerung dazu genötigt, den Angriff als „durch nichts zu rechtfertigenden völkerrechtswidrigen Akt“ zu verurteilen.

Am Ende scheiden sich die Geister nur noch daran, wie scharf die Sanktionen gegen Russland sein sollen, und ob auch Waffenlieferungen an die Ukraine gerechtfertigt sind oder nicht. Und der Botschafter von China, eines der Länder, die sich weigern, einseitig Russland zu verurteilen, wird im Interview von einer jungen Journalistin ständig rüde unterbrochen, die von ihm nur eins hören will:

„Will you tell your President to tell Putin that he has to stop now? Zelensky is sitting in a bunker!“

Sind mit der Verurteilung des Angriffskriegs Russlands alle Fragen beantwortet und alle Zweifel zerstreut? Ganz sicher nicht.
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Rede Lawrows am 19. März 2022

Wieder mal die Darstellung der aktuellen Situation und der Hintergründe aus russischer Sicht.

In seiner Rede schneidet Lawrow so ziemlich alle wichtigen Fragen an, die aktuell diskutiert werden.

Quelle: Foreign Minister Sergey Lavrov: Leaders of Russia management competition, Moscow, March 19, 2022  (falls schwer zu erreichen: hier als PDF)

Beginn der Übersetzung

Liebe Freunde,

ich möchte Sie begrüßen und Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, dass Sie mich weiterhin einladen, obwohl ich den Vorsitz im Aufsichtsrat innehabe. Es ist wichtig für mich, Sie zu sehen, Ihre Fragen zu hören und zu verstehen, was Sie in dieser unruhigen Zeit beunruhigt.

Dieses Treffen findet vor dem Hintergrund der Ereignisse statt, die sich derzeit in der Ukraine abspielen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich wiederholt ausführlich zu den Hintergründen dieser Krise geäußert. Ich möchte kurz wiederholen: Es geht hier nicht um die Ukraine. Dies ist das Ergebnis einer Politik, die der Westen seit Anfang der 1990er Jahre betreibt. Damals war klar, dass Russland nicht gefügig sein würde und dass es in internationalen Angelegenheiten ein Mitspracherecht haben wollte. Das liegt nicht daran, dass Russland ein ‚Bully‘ sein will. Russland hat seine Geschichte, seine Tradition, sein eigenes Verständnis von der Geschichte seiner Völker und eine Vision, wie es seine Sicherheit und seine Interessen in dieser Welt gewährleisten kann. Weiterlesen

Es geht voran, Geschichte wird gemacht (Wenn's nach mir ginge)

Ab sofort gibt es Frieden für die Bewohner der selbsternannten, nun aber auch von Russland anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk. Das halte ich zumindest für sehr wahrscheinlich.

Dazu der Saker:

Beginn der Übersetzung

Dies war ein sehr sorgfältig inszeniertes Ereignis, und damit meine ich nicht nur die heutigen Live-Treffen und die Unterzeichnung. Wer die russische Politik seit langer Zeit sehr genau verfolgt, dem ist völlig klar, dass all dies lange VOR dem russischen Ultimatum an den Westen vorbereitet wurde.

Dies ist „der Plan“, von dem Putin einmal offen gesprochen hat. Weiterlesen