Frühstück der Autokraten Teil 2

Mein Artikel „Frühstück der Autokraten“ über das jüngste Treffen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) sollte ein Zweiteiler werden. Nachdem klar ist, dass er nur auf unserem Blog veröffentlicht wird, fehlt mir die Motivation, den zweiten Teil professionell auszuarbeiten. Aber die wesentlichen Inhalte sollen doch hier einmal festgehalten werden. Denn was sich dort tut, wird in den westlichen Medien kaum zur Kenntnis genommen. Wenn es zur Kenntnis genommen wurde, dann nur mit einem besonderen Framing, das zeigen sollte, wie isoliert Putin ist. Dem habe ich im ersten Teil einige O-Töne entgegengehalten, die zeigen sollten, dass es gute Gründe gibt, das zu bezweifeln.

Wer die Entwicklung ernst nimmt, ist der Neocon Robert Kagan, der darüber ein Buch geschrieben hat (The Return of History and the End of Dreams). Er beobachtet die Geschehnisse im asiatischen Raum mit Sorge. Denn es zeige sich, dass wirtschaftliche Entwicklung nicht automatisch zu liberal-demokratischen Systemen führe, wie man im Westen bisher angenommen habe. Seine These, dass wir uns in einem Zeitalter der Auseinandersetzung zwischen Autokratien und Demokratien befinden, ist ja inzwischen als offizielles Framing mainstream und auch Teil der NATO-Strategie 2022.

Aber was tut sich wirklich und wie sehen denn die Beteiligten selbst ihre Politik?

Präsident Xi betonte in seiner Rede die sicherheitspolitischen Aspekte und die Regeln der Zusammenarbeit. Ohne Frieden ginge nichts. Der Unfrieden sei nicht nur hausgemacht sondern werde auch von außen geschürt. Zu den Regeln später mehr.

Putin betonte die überragende Bedeutung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Und hier sind große Entwicklungen im Gange. Einige Ergebnisse sind heute schon zu sehen, z.B. das rasante Wachstum des Handels zwischen Russland und China. Vieles ist in Planung und im Bau.

Stichworte hier:

Konnektivität: Es werden Verkehrskorridore geschaffen, die Indien mit der Ostsee und China mit Afrika verbinden: Eisenbahnen, Schifffahrtswege, Straßen. Außerdem wird das Internet ausgebaut.

Energie: Es sind mehrere Pipelines im Bau, in der Planung und erbeten, die den riesigen Wirtschaftsraum mit Gas und Erdöl aus Russland, dem Iran und anderen Förderländern versorgen.

Freihandelsverträge: Momentan hauptsächlich auf bilateraler Basis entwickeln die Mitglieds- und Beobachterstaaten ihre Handelsbeziehungen.

Währung: Viele dieser Handelsbeziehungen verzichten auf den Dollar und vereinbaren die Abwicklung in anderen Währungen. Im Hintergrund wird an einer gemeinsamen Währung gebastelt, die auf einem Korb von Rohstoffen basieren soll. In Arbeit ist auch der Handel mit Kryptotechnologie.

Die vielen Dokumente, die verabschiedet wurden, betreffen zahlreiche weitere Gebiete der Zusammenarbeit: Klima- und Umweltpolitik, Forschung und Entwicklung, Gesundheitspolitik, kultureller Austausch u.v.m.

Insgesamt werden hier also gerade die Rahmenbedingungen für die Schaffung eines immensen integrierten Wirtschaftssystems geschaffen, das außerhalb des Dollars operiert.

Im Gegensatz beispielsweise zur EU soll keine übergeordnete Organisation und Bürokratie geschaffen werden, der sich die teilnehmenden Staaten unterordnen müssen, sondern deren staatliche Souveränität bleibt vollkommen erhalten.

Xi beschrieb in seiner Rede den Geist von Samarkand folgendermaßen:

In diesem Jahr feiern wir den 20. Jahrestag der SOZ-Charta und den 15. Jahrestag des Vertrags über langfristige gute Nachbarschaft, Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den SOZ-Mitgliedstaaten. Im Laufe der Jahre ist es uns gelungen, auf der Grundlage dieser beiden Gründungsdokumente einen neuen Weg für die Entwicklung internationaler Organisationen zu beschreiten, und es gibt vieles, was wir aus der reichen Praxis der SOZ übernehmen können.

Politisches Vertrauen. Geleitet von der Vision, dauerhafte Freundschaft und Frieden zwischen den SOZ-Mitgliedsstaaten zu schaffen, respektieren wir die Kerninteressen und die Wahl des Entwicklungsweges des jeweils anderen und unterstützen uns gegenseitig bei der Verwirklichung von Frieden, Stabilität, Entwicklung und Verjüngung.

Win-Win-Zusammenarbeit. Wir tragen den Interessen des anderen Rechnung, bleiben dem Prinzip der Konsultation und Zusammenarbeit zum gemeinsamen Nutzen treu, verstärken die Synergie zwischen unseren jeweiligen Entwicklungsstrategien und halten am Weg der Win-Win-Kooperation zum gemeinsamen Wohlstand fest.

Gleichheit zwischen den Nationen. Wir bekennen uns zum Grundsatz der Gleichheit aller Länder, unabhängig von ihrer Größe, zur konsensbasierten Entscheidungsfindung und zur Behandlung von Problemen durch freundschaftliche Konsultationen. Wir lehnen die Praxis ab, dass die Starken die Schwachen oder die Großen die Kleinen schikanieren.

Offenheit und Inklusivität. Wir stehen für ein harmonisches Zusammenleben und gegenseitiges Lernen zwischen verschiedenen Ländern, Nationen und Kulturen, für den Dialog zwischen den Zivilisationen und für die Suche nach Gemeinsamkeiten unter Zurückstellung der Unterschiede. Wir sind bereit, mit anderen Ländern und internationalen Organisationen, die unsere Vision teilen, Partnerschaften einzugehen und eine Zusammenarbeit zu entwickeln, von der alle profitieren.

Gleichheit und Gerechtigkeit. Wir bekennen uns zu den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta; wir gehen wichtige internationale und regionale Fragen auf der Grundlage ihrer Verdienste an und lehnen die Verfolgung eigener Ziele auf Kosten der legitimen Rechte und Interessen anderer Länder ab.

Hier wird zugleich auch umrissen, wie sich China die Verhältnisse in einer multipolaren Weltordnung vorstellt, in der kein Blockdenken vorherrscht, sondern alle Staaten gleichberechtigt zusammenarbeiten können.

Putin wurde schon in Samarkand deutlicher (und erst recht in seiner Rede am 30. September). Er brandmarkte die koloniale Mentalität des Westens, der immer noch die Unterwerfung der übrigen Welt unter seine Normen fordere.

Vielen von uns, erscheinen die Samarkand-Prinzipien als problematisch: Was ist mit den Menschenrechten, der Emanzipation der Frauen, LGBT-Rechten, politischer Unterdrückung oder dem Klimaschutz? In der wertebasierten Außenpolitik des Westens sollen z.B. nur Länder unterstützt werden, die diesbezügliche Maßnahmen vorweisen können.

Das ist eine schwierige Debatte: Ist es nicht unsere moralische Pflicht, uns dort einzumischen, wo diese Dinge im Argen liegen? Und müssen wir nicht alle Länder zu aktivem Klimaschutz verpflichten, um die Welt zu retten? Die jagen da doch munter immer mehr CO2 in die Luft! Das muss man doch stoppen!

Hier nur so viel dazu: Es ist natürlich westlicherseits eine ungeheure Doppelmoral vorhanden, auf die Putin in Bezug auf die russischen Düngemittelexporte hinweist.

Was den Klimaschutz betrifft, darüber mache ich mir auch Sorgen, nicht nur was den asiatischen Wirtschaftsraum betrifft. Wenn es aber gelänge, dort Frieden zu schaffen und die genannten Prinzipien der Zusammenarbeit zu realisieren, wären dort die besten Chancen gegeben, wirklich etwas zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen zu tun. Und die sind dort heute schon deutlich spürbar (vergl. hier).

Man könnte mir vorwerfen, ich sympathisierte zu sehr mit den „Autokraten“. Ich sehe das ein wenig anders. Vieles was ich aus den jeweils „autokratischen“ Ländern höre, finde ich wenig erfreulich. Andererseits weiß ich zwei Dinge: Erstens, dass ich zu wenig Infos darüber habe, was wirklich dort vorgeht, und zweitens, dass diese Länder einem ungeheuren Druck von außen ausgesetzt sind. Die Unruhen im Iran sind dafür ein gutes Beispiel. Es ist in jedem Land ein großes Unglück, wenn jemand in Polizeigewahrsam stirbt. Das passiert ja auch in den USA oft genug. So ein Vorfall muss genau untersucht und ggf. gesühnt werden. Aber der Grund für den Polizeikontakt hat damit zunächst nichts zu tun. Dass überall im Land Aufstände ausbrechen, die Bekleidungsgesetze des Landes infrage gestellt werden und vehement regime change im Iran gefordert wird, klingt nach äußerer Einmischung, die auch nachweisbar ist. Ohne diese Einmischung wäre eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Kleiderordnung vermutlich sehr viel leichter möglich.

Die gegenwärtige geopolitische Auseinandersetzung halte ich jedoch für notwendig und unausweichlich. Die Ablösung des jetzigen Hegemons ist die Voraussetzung für die Lösung der drängenden Zukunftsaufgaben der Menschheit. Ich habe die schüchterne Hoffnung, dass dies in einer multipolaren Weltordnung besser gelingen könnte als in der jetzigen, die annimmt, dass alle am liberal-demokratischen Wesen genesen werden. Das stimmt eben nachweislich nicht.

Wenn diese Haltung als unkritisch und einseitig gewertet wird, sei es so.

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