Die „Ukraine“ Krise ist vorbei, wenn Europa seine Souveränität wieder herstellt

Kommentar von Petri Krohn | Feb 9 2022 12:35 utc | 151 bei Moonofalabama

Beginn der Übersetzung:

Ein Rätsel der aktuellen europäischen Krise ist der Zeitpunkt: Warum jetzt? Seit drei Monaten berichten die westlichen Medien durchgängig über die „bevorstehende“ russische Invasion in der Ukraine. Aber warum? Es ist heute nicht wahrscheinlicher, dass Russland in Kiew und Odessa einmarschiert als 2014 nach dem gescheiterten Maidan-Putsch. Russland will die Ukraine nicht. Die Behauptungen, dass sich 100.000 russische Truppen an der ukrainischen Grenze versammelt haben, sind größtenteils eine Erfindung. Die wahre Geschichte sind die 150.000 ukrainischen Truppen und ihre NATO-Berater in den Schützengräben im Donbass, die sich auf einen Angriff auf die Volksrepubliken vorbereiten.

Der unmittelbare Grund für die derzeitige Krise sind die Olympischen Winterspiele in Peking. Die Russen wissen, dass die Ukraine und die NATO einen geplanten Angriff auf den Donbass während der Olympischen Spiele starten würden. Die derzeitige Konzentration der russischen Truppen in Weißrussland lässt sich vollständig mit der Notwendigkeit erklären, solche Angriffspläne zu verhindern. („Operation Olympische Waffenruhe„, habe ich es genannt.)

Der eigentliche Grund für die Krise ist die Nord Stream 2-Pipeline und ihre bevorstehende Zertifizierung. Ich habe schon vor zwei Jahren verstanden, dass Nord Stream 2 unter den derzeitigen politischen Bedingungen niemals in Betrieb genommen werden wird. Wenn Russland eine Hürde genommen hat, werden neue politische und militärische Hürden aufgebaut. Wenn alles andere scheitert, werden die Ukraine und die USA einen Angriff auf Donezk und Lugansk starten, in der Hoffnung, Russland zu einer offenen Intervention und einer „Invasion“ der Ukraine zu zwingen.

Aber es gibt noch eine dritte, grundlegendere Ursache für die Krise: die fehlende europäische Souveränität. Wie Alexander Mercouris in seinem neuesten Video feststellt, hat der jahrelange Bau von Nord Stream 2 den Vereinigten Staaten einen enormen Machthebel gegenüber Deutschland verschafft. Es läge im europäischen Interesse, dass die Ukraine die Minsker Vereinbarungen umsetzt und so Frieden und Stabilität in Europa wiederherstellt. Um dies zu erreichen, müssten Frankreich und Deutschland als Garanten des Abkommens Druck auf die ukrainische Regierung ausüben. Die USA haben ein Interesse daran, jede wirtschaftliche Integration zwischen Russland und Europa zu verhindern. Die schwelende Krise in der Ukraine dient diesem Zweck. Die Androhung amerikanischer Sanktionen gegen die Nord Stream 2-Pipeline hat Deutschland daran gehindert, seinen Verpflichtungen zur Durchsetzung des Minsker Abkommens nachzukommen. Daher kann Deutschland die Krise nicht beenden, solange es Nord Stream 2 nicht hat. Aber Deutschland kann Nord Stream 2 erst bekommen, wenn die Krise vorbei ist.

Letztlich ist die „Ukraine“-Krise eine Krise, die sich Europa aufgrund seiner mangelnden Souveränität selbst zugefügt hat. Der Franzose Macron mag das verstanden haben. Aber er ist zu schwach, um es öffentlich auszusprechen, geschweige denn, Frankreich aus seinen atlantischen Ketten zu befreien. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sieht noch schwächer aus, wenn er wie ein gehorsames Schoßhündchen neben Präsident Biden steht.

Russland braucht starke, unabhängige Nachbarn, die sich um ihre eigennützigen nationalen Interessen kümmern. Es verachtet schwache Gängelkinder, die den Interessen ihrer Herren in Übersee dienen.

Ende der Übersetzung:

Alice im Wirtschaftswunderland – 2

Erscheinen am 26. Januar bei Makroskop

Von einer, die auszog, das Thema Inflation zu verstehen, und dabei in einem Kaninchenbau landete.

„Keynesianischer Dampf!“ Alice schreckt auf. Wo ist sie? Ach so, sie ist ja durch ein Kaninchenloch ins Wirtschaftswunderland gerutscht. Beim Vortrag von Hans-Werner Sinn muss sie doch tatsächlich eingenickt sein. Jetzt aber ist sie wieder hellwach.

Staatsausgaben wirken grundsätzlich inflationär, erklärt Sinn, weil sie zusätzlichen Dampf in die Wirtschaft blasen. Schon jetzt sei nach den Corona-Hilfen, bei denen Geld in Umlauf kam, ohne dass etwas produziert wurde, unsere Wirtschaft überhitzt. Da sei jeder zusätzliche Euro fatal, weil inflationstreibend. Die neue Regierung zeige jedoch keine Einsicht, offiziell halte man an der schwarzen Null fest, inoffiziell nutze man alle Tricks, um sie zu umgehen, etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). So würden jetzt auch für Corona-Hilfen vorgesehene EU-Gelder umgewidmet zur Unterstützung der Energiewende.

Alice hat so ihre Zweifel. Die deutschen Unternehmen scheinen seinen Optimismus nicht zu teilen. Das Ifo-Institut zum Beispiel korrigierte gerade seine Wachstumsprognosen für Deutschland nach unten. Weiterlesen

Alice im Wirtschaftswunderland – 1

Von einer, die auszog, das Thema Inflation zu verstehen, und dabei in einem Kaninchenbau landete.
Erschienen am 19. Januar bei Makroskop

Nach der Theorie der rationalen Erwartungen ist staatliche Wirtschaftspolitik überflüssig, wenn nicht sogar schädlich, da sich am Markt das optimale Gleichgewicht über das rationale Handeln der Wirtschaftssubjekte einpendelt. Dabei kann das Handeln eines Subjekts als repräsentativ für alle anderen angesehen werden. Der Anspruch an uns Subjekte ist somit hoch:

„[…] alle Individuen in einer Volkswirtschaft (Arbeitnehmer, Unternehmer, Konsumenten, Anleger) [nutzen] die gesamten verfügbaren Informationen, die ihnen von Wirtschaftsforschungsinstituten, Fachzeitschriften, Zentralbanken, Regierungen usw. bereitgestellt werden, und verarbeiten diese. Sie – Professoren ebenso wie ökonomische Laien – sind damit in der Lage, qualifizierte Vorhersagen darüber zu treffen, wie sich wichtige ökonomische Größen wie Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosigkeit, Inflation, Löhne, Zinsen, Aktien- und Güterpreise etc. in der Zukunft entwickeln werden, und auf dieser Grundlage Kauf-, Anlage- oder Arbeitsentscheidungen vorzunehmen. Das verfügbare, umfassende Informationsmaterial allein reicht dabei nicht aus; es muss auf Basis eines ökonomischen Modells korrekt interpretiert werden. Angenommen wird von der Theorie der rationalen Erwartungen deshalb, dass alle Wirtschaftssubjekte bei ihrer Erwartungsbildung das eine ‚richtige‘ ökonomische Modell wählen.“

Als ‚repräsentatives Wirtschaftssubjekt‘ wähnte sich Alice bei der Einschätzung der gegenwärtigen, deutlich spürbaren Preiserhöhungen zunächst als gut aufgestellt, hatte sie doch bei MAKROSKOP in Günther Grunerts Artikel gelesen, dass mittel- und langfristig keine Inflationsspirale zu erwarten sei, dass wir es mit einem temporärem Phänomen zu tun hätten, das vor allem auf die Verwerfungen der Corona-Krise zurückzuführen wäre, und Zinserhöhungen durch die Zentralbank zur Inflationsbekämpfung aktuell weder hilfreich noch wirksam seien.

Damit konnte sie in der Diskussion jedoch nicht so richtig punkten, und wurde unter anderem auf Vorträge von Hans-Werner Sinn und Sahra Wagenknecht verwiesen. Weiterlesen

Ist der US-Imperialismus ein Papiertiger im Sinne Maos?

Das könnte man nach der neuesten Analyse von Alexander Mercouris fast glauben:
US Admin Faced with Debacle as Germany’s Scholz Declines Meeting with Biden over Ukraine/Russia

Hier (zitiert nach Wikipedia) das Mao-Zitat:

„Ebenso wie es nichts auf der Welt gibt, das nicht eine Doppelnatur hätte (das ist eben das Gesetz der Einheit der Gegensätze), so haben auch der Imperialismus und alle Reaktionäre eine Doppelnatur: sie sind wirkliche Tiger und zugleich Papiertiger. (…) Einerseits sind sie echte Tiger, die Menschen fressen, Millionen und aber Millionen Menschenleben vernichten. Der Kampf des Volkes ist eine Zeit hindurch voller Schwierigkeiten und Härten, sein Weg voller Windungen und Wendungen. Das chinesische Volk brauchte, um die Herrschaft des Imperialismus, des Feudalismus und des bürokratischen Kapitalismus in China zu liquidieren, mehr als hundert Jahre, und Dutzende Millionen Menschen mußten ihr Leben lassen, ehe im Jahre 1949 der Sieg errungen war. Sehen Sie, waren das nicht lebendige Tiger, eisenharte Tiger, echte Tiger? Letzten Endes aber haben sie sich in Papiertiger, in tote Tiger, in butterweiche Tiger verwandelt. Das sind historische Tatsachen. Hat man denn das alles nicht gesehen und gehört? Wahrlich tausendmal und aber Tausende Male! In Tausenden und Zehntausenden von Fällen! Somit muß man von ihrem Wesen her, aus einer langen Perspektive, in strategischer Hinsicht den Imperialismus und alle Reaktionäre als das betrachten, was sie in Wirklichkeit sind: als Papiertiger. Darauf müssen wir unser strategisches Denken gründen. Anderseits sind sie aber wiederum lebendige, eisenharte, wirkliche Tiger, die Menschen fressen können. Darauf müssen wir unser taktisches Denken gründen.“[2]

 

 

Dialog auf amerikanisch

von Pepe Escobar, 13. Januar 2022

Beginn der Übersetzung

Washington wird die russischen Vorschläge zur NATO-Erweiterung nicht berücksichtigen und hat nicht die Absicht, die Idee auch nur zu diskutieren. So viel zum Thema „Dialog“.

Es war das erste hochrangige Treffen zwischen Russland und der NATO seit 2019 – unmittelbar nach dem gescheiterten Dialog zwischen den USA und Russland über die Einführung einer „Sicherheitsgarantie“ Anfang der Woche in Genf.
Was geschah also in Brüssel? Im Wesentlichen ein weiterer Nicht-Dialog-Dialog – komplett mit einem kafkaesken NATO-Vorwort: Wir sind zum Dialog bereit, aber die Vorschläge des Kremls sind inakzeptabel.
So bestätigte man die Worte der amerikanischen NATO-Beauftragten Julianne Smith, die schon im Vorfeld Russland die Schuld für Aktionen gab, die „diese Katastrophe beschleunigt haben“. Weiterlesen

Die Entwertung der Arbeit

Mein fünfter Artikel zu Marx, MMT und linke Strategie (zuerst veröffentlicht am 21.12.2021 bei Makroskop – Links zur allen Artikeln der Reihe siehe unten)

Gibt es eine natürliche Arbeitslosenquote oder kann der Staat bei der Reise nach Jerusalem für genügend Stühle sorgen?

Die meisten von uns haben in ihrer Kindheit und Jugend aus dem Spiel „Reise nach Jerusalem“ eine wichtige Lehre fürs Leben mitgenommen: einen Stuhl ergattert man nur bei voller Konzentration und unter Einsatz der Ellbogen. Übertragen auf die Arbeitsplätze: Uns ist allen klar, dass nicht genügen ‚Stühle‘ für alle da sind, und das die vorhandenen Stühle sich hinsichtlich ihrer Komfortabilität sehr stark unterscheiden.

Der Satz „Wer will, bekommt Arbeit“ unterstellt nicht, dass es für alle genügend Arbeitsplätze gibt, sondern dass jeder selbst für sein Schicksal verantwortlich ist. „Ein jeder ist seines Glückes Schmied“, wo ich lande, hängt von den Entscheidungen ab, die ich treffe. Ich muss selbst dafür sorgen, dass ich kein Loser bin, und dass meine Kinder auch keine werden. Der Kampf beginnt im Kindergarten, er endet bei den einen in der Konkurrenz der Chefetagen, bei den anderen mitten in Förder- und Forder-Maßnahmen der Agentur für Arbeit. Weiterlesen

Zum Ausstieg des Linksbündnisses aus der Marburger Regierungskoalition

Zur konkreten Manifestation eines Grundsatzdilemmas, oder: Wie man sich politisch entmachtet und noch gut dabei fühlt.

Gott schenke mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Gelassenheit, die Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann und die Weisheit, beides von einander zu unterscheiden.“ (Motto der anonymen Alkoholiker). Ich wünsche mir zusätzlich die Gnade, in meinem Leben nicht allzu viele Dinge tun zu müssen, die meine wichtigsten Werte verletzen.

Kaum war die Marburger Linksfraktion als Teil von Marburgs Regierungskoalition im Amt, kam sie in die schwerste Situation, in die ein/e Politiker*in mit Grundsätzen kommen kann: trage ich einen Beschluss mit, der gegen meine Grundprinzipien verstößt, um im Amt zu bleiben? Und so wurde nach 12 Tagen die Koalition aufgekündigt.

Die Frage, ob ich Gewerbesteuerkürzungen für eine multinational agierende Pharmafirma mittragen kann, wäre in meiner Jugend für mich ein ‚No-Brainer‘ gewesen: selbstverständlich nicht. Als anti-kapitalistische Linke kann ich doch so etwas nicht unterstützen! Weiterlesen

Kapital – Arbeit – Inflation

Mein vierter Artikel zu Marx, MMT und linke Strategie (zuerst veröffentlicht am 15.12.2021 bei Makroskop – Links zur allen Artikeln der Reihe siehe unten)

Sind die zum Teil drastischen Preiserhöhungen dieses Jahres der Beginn einer neuen dauerhaften inflationären Entwicklung? Nein, sagt die MMT – wohl aber seien sie Folge der Verwerfungen der Corona-Krise.

Ein erhöhter Mindestlohn wäre für ihn schon eine gute Sache, findet mein Enkel, der in der Gastronomie jobbt. Ebenso ist für ihn klar, dass seine Freude anderen schadet, für die nun zwangsläufig der Restaurantbesuch teurer wird.

Diese „Wahrheit“ scheint Teil des Alltagswissens der meisten Menschen zu sein: die Wahrung meines Eigeninteresses, sei es nun mein Wunsch nach einer Lohnerhöhung, die Inanspruchnahme von Corona-Hilfen oder meine Forderung, dass Intensivstationen, Kitas, Schulen und öffentlicher Nahverkehr besser ausgestattet werden – es schadet der Gemeinschaft als Ganzes. Denn: All das muss zu Kürzungen an anderer Stelle führen (was durch die Struktur der Etats, zum Beispiel in Pflegeheimen, durchaus der Realität entspricht), zu Inflation oder im Falle von mehr „Staatsschulden“ zur Belastung zukünftiger Generationen. Weiterlesen

Die Geschichte von den Staatsfinanzen

Dies ist mein Artikel zum Thema Staatsfinanzen (der dritte aus der Reihe Marx, MMT und linke Strategie).

Hier die anderen:

1. Die Linke, Ökonomie und die MMT

2. Marx und das Geld

4. Kapital – Arbeit – Inflation  (am 15.12.21 auf Makroskop erschienen)

Sind Staatsausgaben immer Staatsschulden? Historisch nicht. Schon in Zeiten von Gold- und Silberwährungen stand die Staatsausgabe vor der Steuer.

Modelle spielen in der Wissenschaft eine wichtige Rolle. Ob sie sich bewähren, zeigt sich daran, inwiefern sich auch komplexe empirische Befunde darin unterbringen lassen. Ich stelle hier das MMT-Modell vom Staatsgeld vor – mit der Einladung an bewanderte Ökonomen, Politologen und Historiker, es zu falsifizieren. Weiterlesen