Warum wurde dieser „harmlose“ Kommentar nicht freigeschaltet?

Als Antwort auf diesen Kommentar zu einem Artikel im Tagesspiegel zum Gerichtsurteil zur Auslieferung von Assange

Was für ein Unrecht…
Sollte er ausgeliefert werden, dann können sich auch die Journalisten vom Tagesspiegel warm anziehen – vorbei die Pressefreiheit….

schrieb ich gestern

Das müssen sie mit Sicherheit nicht. Sie halten sich an die Vorgaben. Es wäre z.B. undenkbar, dass die Journalisten des Tagesspiegel eine gemeinsame Erklärung verfassen und veröffentlichen, in der sie – im Interesse der Glaubwürdigkeit des Westens – die sofortige Freilassung von Julian Assange fordern. Sie wären ihren Job los. Auf der anderen Seite können sie auch keine Artikel verfassen, z.B. in der Form eines Kommentars im Tagesspiegel, in dem sie das Vorgehen gegen Assange rechtfertigen. Ein echtes Dilemma, aber ein wohlverdientes, wie ich meine.

Das wurde nicht freigeschaltet. Auch auf die Nachfrage, inwiefern das gegen die Community-Richtlinien verstieße, ebenfalls keine Antwort.

Dabei gab es in den anderen freigeschalteten Kommentaren keinen Mangel an Kritik, wie z.B.

Im Fall von Assange werden nicht die Kriegsverbrecher und deren Befehlsgeber zur Verantwortung gezogen, sondern Assange, der die Welt über die Kriegsverbrechen informierte.

Es ist also interessant, warum gerade dieser Kommentar nicht veröffentlicht wurde. Vielleicht, weil er die Frage aufwirft, welchen Spielraum die Journalisten in einem solchen Medium tatsächlich haben. Sicher sind die meisten Journalisten auch in den Mainstreammedien privat der Meinung, dass Assange lieber freigelassen werden sollte, anstatt in die USA ausgeliefert zu werden. Aber es ist in der Tat undenkbar, dass alle Journalisten des Tagesspiegel (oder anderer großer Medien), die dieser Meinung sind, eine gemeinsame öffentliche Erklärung mit dieser Stoßrichtung abgeben. Genauso undenkbar ist es, dass in diesen Medien ein Artikel nach dem anderen mit dem Grundton der Empörung nach der Freilassung von Assange ruft, wie das für Nawalny selbstverständlich war. Vielmehr ist recht genau reguliert, was geht und was nicht. Kritik in den Kommentaren geht, minimale „neutrale“ Berichterstattung bei wesentlichen Ereignissen wie jetzt anlässlich des Gerichtsurteils geht, einzelne Journalisten dürfen auch ausnahmsweise eine Gegenposition beziehen, wie z.B. Harald Schumann vom Tagesspiegel, der ohnehin dort ein krasser Außenseiter ist. Totales Verschweigen geht nicht (wie bei dem OPCW-Skandal und dem veröffentlichten Briefwechsel zu Minsk 2). Ich habe keinen Zweifel, dass die Mainstreamjournalisten hier den Hauch der Macht spüren, auch wenn einige (viele? die meisten?) das in ihrer Überidentifizierung mit derselben abstreiten würden.

Anstatt eines Gedenkens an den 80. Jahrestag des Überfalls…

…endlich harte Sanktionen gegen Belarus. Genau das richtige Signal zu diesem Tag.

Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich nach dem Treffen sehr zufrieden: „Die EU hat geliefert.“ Die neuen sektoralen Sanktionen würden die Wirtschaft in Belarus empfindlich treffen, weil sie gegen Staatsunternehmen gerichtet seien, die das Regime finanzieren.“ Sie sollen ausgetrocknet werden“, fügte Maas hinzu. Aus: Daumenschrauben gegen Regime in Belarus

Ein Drittel der weißrussischen Bevölkerung wurde im Zweiten Weltkrieg ermordet, Hunderte Dörfer niedergebrannt. Nirgendwo war der Widerstand gegen die deutschen Besatzer so erbittert. Tausende Partisanen lebten in Wäldern und Sümpfen, kämpften von dort aus gegen die Hitler-Truppen. Aus: Weißrussland zehrt nach wie vor vom Zweiten Weltkrieg

Diese Meldung (aus Belarus) wird von Google nicht angezeigt, auch bei einer Suche mit wörtlichen Zitaten. Hier by duckduckgo geht’s. Google zensiert.

Die Nachdenkseiten und Corona

Heute (6.6.21) bringen die Nachdenkseiten einen langen Artikel von „ihrem Leser“ Norbert Krause: Wie kam es zur Corona-Krise?. Er verzichtet im Unterschied zu vielen anderen Beiträgen bei den Nachdenkseiten auf Polemik, gibt aber die „zentristische“ Position von Jens Berger, Albrecht Müller und anderen ganz gut wieder. Er geht weder frontal gegen die Wissenschaft vor noch leugnet er grundsätzlich die Wirksamkeit von Maßnahmen. Aber dennoch liefert er scheinbar die argumentativen Grundlagen für die Harmlosigkeit der Krankheit (im Verhältnis zur angeblichen Pankikmache) und die Übertriebenheit der Maßnahmen, die es den Nachdenkseiten ermöglichen, bei den „Querdenkern“ anzudocken.

Ich finde, es würde sich lohnen, anhand dieses Artikels einmal möglichst präzise die Fehler und Mängel diese Analyse herauszuarbeiten und möglichst kurz und prägnant zu formulieren. Da ich mich nicht imstande sehe, dies in einem Rutsch zu tun, schlage ich vor, in den Kommentaren nach und nach die Punkte zusammenzutragen, die Formulierungen inkrementell zu verbessern und evt. in einen zusammenhängen Text zu überführen.

Ich beginne damit, einige Punkte aufzuzählen, die meines Erachtens behandelt werden müssten.

  • Krause und auch die Nachdenkseiten generell haben an keiner Stelle eine eigene kohärente Strategie für den Umgang mit der Seuche formuliert.
  • Es fehlt jede Auseinandersetzung mit Tomas Pueyo.
  • Es wird immer wieder angedeutet, dass die Schweden es besser gemacht hätten.
  • Der Blickwinkel ist provinziell. Es gibt keine weltweite Betrachtung, keine tiefen Vergleiche.
  • China wird völlig außen vor gelassen und als „autoritär“ abgestempelt. Der chinesische Erfolg (auf vielen Dimensionen!) wird ignoriert. China demonstriert sowohl die massive ungehinderte Explosion der Seuche in Wuhan (im Unterschied zu Manaus wissenschaftlich gut dokumentiert), als auch die gnadenlos erfolgreiche Eindämmung in der Folge.
  • Für die Einschätzung der Pandemie ist die weltweite Übersterblichkeit essentiell, im Verhältnis zu den jeweils getroffenen Maßnahmen.
  • Die kalte unerbittliche Relevanz der epidemiologischen Modelle wird systematisch verkannt.
  • Die Kernpunkte einer linken Gesundheitspolitik fehlen.
  • Der gnadenlos kollektive Charakter der Pandemie, wo nur kollektives (weltweites) Handeln erfolgreich sein kann, wird verkannt. Siehe zum Beispiel das dümmliche Argument, dass man Kinder und Jugendliche gar nicht groß einschränken müsste, weil der Virus für diese ohnehin harmlos wäre.

Dass in Israel Apartheid herrscht, hört man gar nicht gerne

Vor zwei Wochen erschien im Tagesspiegel ein Artikel, in dem Aktivisten von Fridays for Future wegen ihrer Parteinahme für die Palästinenser kritisiert wurden, die zum Teil auch die Unterstützung der BDS-Bewegung beinhaltete. Im Artikel kommt fünf Mal das Wort „antisemitisch“ bzw. „Antisemitismus“ vor, ohne der deutschen FFF-Sektion direkt Antisemitismus vorzuwerfen. Das Wort „Apartheid“ kommt natürlich nicht vor.

Ich habe folgenden Kommentar abgegeben, der aber nicht freigeschaltet wurde:

Der Tagesspiegel hat es bisher nicht einmal geschafft zu erwähnen, dass Human Rights Watch die israelischen Zustände als Apartheid charakterisiert hat. Vermutlich werden das viele Kommentatoren in diesem Zusammenhang aufgegriffen haben; in den Kommentaren ist aber das Wort „Apartheid“ kein einziges Mal zu finden. Vermutlich will man nicht, dass die Leser es auf diesem Weg erfahren. Ich nehme also an, dass auch dieser mein Kommentar nicht freigeschaltet wird, würde mich aber freuen, wenn doch. Jeder informierte Mensch weiß es ohnehin, die Aktivisten von Fridays for Future mit Sicherheit. Um so peinlicher für den Tagesspiegel.

Weiterlesen