Die Geschichte von den Staatsfinanzen

Dies ist mein Artikel zum Thema Staatsfinanzen (der dritte aus der Reihe Marx, MMT und linke Strategie).

Hier die anderen:

1. Die Linke, Ökonomie und die MMT

2. Marx und das Geld

4. Kapital – Arbeit – Inflation  (am 15.12.21 auf Makroskop erschienen)

Sind Staatsausgaben immer Staatsschulden? Historisch nicht. Schon in Zeiten von Gold- und Silberwährungen stand die Staatsausgabe vor der Steuer.

Modelle spielen in der Wissenschaft eine wichtige Rolle. Ob sie sich bewähren, zeigt sich daran, inwiefern sich auch komplexe empirische Befunde darin unterbringen lassen. Ich stelle hier das MMT-Modell vom Staatsgeld vor – mit der Einladung an bewanderte Ökonomen, Politologen und Historiker, es zu falsifizieren.

Im Gegensatz zum „Mit Tausch fing’s an Modell“ herkömmlicher Ökonomen ist das MMT-Modell historisch belegt. Im Buch „Schulden – die ersten 5000 Jahre“ des Anthropologen und Occupy-Aktivisten David Graeber, (selbst kein MMTler), finden sich viele Beispiele.

1. Die Geschichte vom Geld beginnt mit Gewalt und Macht

Graeber legt überzeugend dar, dass in den Gesellschaften ohne Geld kein direkter Tauschhandel, sondern komplizierte Kreditsysteme herrschten, die mit der persönlichen Integrität der Beteiligten und gegenseitigem Vertrauen verbunden waren. Tauschhandel und besonders Geld kamen dann ins Spiel, wenn diese sozialen Verhältnisse nicht gegeben waren bzw. gewaltsam zerstört wurden. Nun galt: Tausch von Dienst, Sache oder Sklave gegen Geld, keine sozialen Verpflichtungen.

Staatsgeld wurde erfunden, wenn die Staaten von ihren Untertanen Dienste einforderten, zum Beispiel Soldaten zu unterhalten oder Straßen zu bauen waren. Man führte Staatsgeld ein, bezahlte die Soldaten und Dienstleistungen damit und zwang alle, das Geld anzunehmen, indem man ihnen eine Steuer auferlegte, die in eben diesem Geld zu zahlen war.

Dass ein ökonomisches Modell mit dem Thema Macht beginnt und nicht mit einem kleinen Dorf, in dem lauter vernünftige erwachsene Männer miteinander zivilisiert Tausch-Handel treiben, ist bemerkenswert. Denn damit wird indirekt die Frage der grundsätzlichen Legitimation von Macht, der Berechtigung der jeweiligen Einzelmaßnahmen, nach den sozialen Verhältnissen und der Durchsetzbarkeit von Alternativen aufgeworfen, all das, was die MMT nach Meinung mancher ihrer Kritiker ignoriert.

2. Erst kommt die Staatsausgabe, dann die Steuer

Schauen wir zum Beispiel nach Madagaskar. Im Jahr 1895 erklärten die Franzosen die Insel an der afrikanischen Südostküste zu ihrer Kolonie und legten der Bevölkerung hohe Steuern auf. Legitimiert wurde die Steuer damit, dass die Madagassen sich gewehrt und so die Eroberung Madagaskars verteuert hätten, außerdem brächte man ihnen Infrastruktur und Fortschritt.

In Wirklichkeit ging es darum, die Menschen dazu zu zwingen, die für die Kolonialherren nützlichen Straßen und Eisenbahnen zu bauen und in den Kaffee-Plantagen zu arbeiten, denn anders hätten sie die Steuern nicht bezahlen können. Gewaltökonomisch war das eine elegantere Lösung als das Wüten der Konquistadoren in Lateinamerika. Man musste nun nur noch Exempel an Steuersündern statuieren. Eine Methode, die kein Einzelfall war.

3. Verbleibt mehr (weniger) Staatsgeld im Umlauf als Steuern herausgezogen werden, entsteht für irgendjemanden Gewinn (Verlust)

Die Kolonialherren in Madagaskar erhoben ganz bewusst weniger Steuern als sie den Madagassen für ihre Dienste bezahlten, wie aus von Graeber studierten Quellen hervorgeht, denn man wollte eine konsumorientierte Geldwirtschaft fördern, die die Einheimischen an importierte Waren gewöhnt und so einen Markt für diese Güter entstehen lässt. Anfangs nahm die Bevölkerung diesen vergifteten Reichtum nicht an, sondern brachte die Überschüsse den Häuptlingen, die diese dann von Zeit zu Zeit rituell vernichteten. Solch ein Widerstand ließ sich jedoch nicht lange durchhalten.

Ein Staat, der mehr ausgibt als er einnimmt, und dafür sorgt, dass das Geld an der richtigen Stelle ankommt, kann also zusätzliche Nachfrage schaffen und damit die Wirtschaft ankurbeln. Umgekehrt erscheint es absurd, mehr Steuern einnehmen zu wollen als Geld für Dienstleistungen auszugeben, denn wer keine Möglichkeit hat, Geld zu verdienen, kann die Steuer beim besten Willen nicht aufbringen, auch wenn seine Hütte dreimal niedergebrannt wird. Daraus schließen die MMTler:

4. Ungewollte Arbeitslosigkeit liegt in der Verantwortung des Staates

Denn, wenn jemand arbeiten wolle, aber keine Arbeit bekäme, wäre die logische Schlussfolgerung, sich an den ursprünglichen Sinn der Steuer zu erinnern – und entweder die Steuern zu senken oder zusätzliche Arbeit zu schaffen.

Dass dieser Sinn vergessen wurde, ist kein Wunder. Es gibt historische Beispiele, wo Staatsgeld und privatwirtschaftliche Kreditsystem sehr lange parallel existierten (etwa in der islamischen Welt des Mittelalters). Meist gingen aber die Gesellschaften insgesamt zur Geldwirtschaft über, und das Staatsgeld wurde zum allgemeinen Zahlungsmittel. Die Menschen mussten nun generell ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie für Geld arbeiteten, was die sozialen Verhältnisse und die Lebensbedingungen grundlegend veränderte. Auch wenn nicht alle in der Staatswirtschaft oder auf Plantagen arbeiteten, so kauften die ‚Staatsbeschäftigten‘ bei den anderen ein, und alle sollten am Ende theoretisch dazu in der Lage sein, ihre Steuerschulden zu bezahlen. Wer für was arbeitete, war jedoch nicht mehr deutlich.

In der Gesamtrechnung gilt aber immer noch, dass im Vergleich zu den Staatsausgaben niedrigere Steuern eine Nachfrage nach mehr Konsumartikeln erzeugen können, während zu hohe Steuern unterm Strich eine Nachfrage nach Arbeit erzeugen, die ein Staat befriedigen kann. So erscheint die MMT-Schlussfolgerung durchaus plausibel: ungewollte Arbeitslosigkeit liegt in der Verantwortung des Staates. Und eine vernünftige Staatmacht würde nicht Hütten niederbrennen, sondern Arbeitsplätze schaffen.

Genau das, sagt Warren Mosler, hätte man in Europa während der Griechenland-Krise nicht beachtet. Griechenland habe seine Schulden nicht zahlen können und so hätte man die Hütten dort niedergebrannt – was zeige, dass der Euro ein schlechtes Konstrukt sei.

Das ist aber ein Gedankensprung, der nur verständlich wird, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, woher nun eigentlich die Staaten ihr Geld bekommen.

5. Woher ein Staat sein Geld bekommt, macht den Unterschied

Sind Staatsausgaben immer Staatsschulden? Historisch nicht. Schon in Zeiten von Gold- und Silberwährungen stand die Staatsausgabe logisch und zunächst auch praktisch vor der Steuer. Dass das alle vergaßen, verwundert jedoch nicht. Denn das wertvolle Edelmetall war knapp, es musste wieder zum Emittenten der Münzen zurückkommen, und der brauchte mit steigenden Staatsausgaben und florierender Wirtschaft immer mehr davon.

Wo kam es her? In der Antike betrieben die Stadtstaaten Gold- und Silberminen, in denen Sklaven arbeiteten, in den Jahren vor der Geldwirtschaft waren riesige Schätze in Staatskassen und Kirchengüter (die man konfiszierte) angehäuft worden, die Eroberung Lateinamerikas führte zur Goldschwemme in Europa und auch Piraterie im Staatsauftrag galt als legitim.

Aber die Herrscher mussten sich oft genug auch Gold und Silber bei reichen Kaufleuten leihen. Sie befanden sich grundsätzlich in einer Situation knapper Kassen, genauso wie die Staaten der Welt zu Zeiten des Goldstandards von Bretton Woods oder diejenigen Staaten heute, die sich in einer Fremdwährung Geld leihen, so wie viele Staaten des globalen Südens oder der Eurozone. Für den Schuldendienst – nicht jedoch im Sinne einer florierenden Volkswirtschaft – war und ist es dann sogar „sinnvoll“ und notwendig, mehr Geld aus der Bevölkerung herauszupressen als man für die Staatsdienste ausgegeben hat. Das ist das Schicksal des Schuldnerstaates Griechenland.

Mit einer souveränen Fiat-Währung entfallen jedoch diese Notwendigkeiten. Staatsausgaben und -Einnahmen werden zu getrennten Buchungsvorgängen. Ein Staat kann so viel Geld über Steuern aus der Wirtschaft nehmen, wie er es für sinnvoll hält, zum Beispiel weil er reale Ressourcen im Sinne seiner Wirtschaftsziele verschieben möchte, ob das nun Militärausgaben sind, oder die Förderung erneuerbarer Energien. Er muss es aber nicht, um notwendige Ausgaben in der eigenen Währung zu bestreiten, sei es nun die Rettung einer Fluggesellschaft aus dem Corona-Tief oder die Entlastung unterer Einkommensschichten bei hohen Energiepreisen.

So hätte es auch für Griechenland im Euroland eine Lösung geben können und müssen, die nicht zu dem nun verzeichneten hohen Rückgang seiner Wirtschaftskraft geführt hätte.

Nicht nur Graeber argumentiert, dass Staatsausgaben immer Kredite seien und eine unabhängige Zentralbank sich hier nicht grundsätzlich von den Giralgeld schöpfenden Privatbanken unterscheide. Dem widerspricht jedoch die MMT. Auch bei formaler Unabhängigkeit emittieren die Zentralbanken im Staatsauftrag die offizielle Währung, die nur kraft der Steuerhoheit des Staates funktionsfähig ist.

6. Während die einen sich an Staatsschulden bereichern, landen die anderen auf der Straße

Warum leihen sich souveräne Staaten dann überhaupt Geld? Und warum war im Lauf der Geschichte die Tatsache, so Graeber, dass jemand das Geld für seine Steuern nicht aufbringen konnte, der häufigste Grund für Verschuldung?

Kehren wir zu den Anfangsüberlegungen zurück. Lassen wir den Sonderfall „realer Sozialismus“ einmal beiseite, wurde staatliche Macht bisher immer in Klassengesellschaften ausgeübt, was zur ungleichen Verteilung der Profite aus den Staatsaufträgen und der Steuerlasten führte. Bei manchen Menschen sammelten sich Reichtümer an. Andere landeten im Schuldturm.

Für die Machthaber war es unter Umständen sehr viel eleganter, sich die angesammelten Edelmetalle gegen Zinsen zurück zu leihen, als sich mit deren Besitzern anzulegen und diese zu besteuern. Der Effekt war erst einmal der gleiche: die Pretiosen waren wieder beim Staat, und wurden nicht für staatszersetzende Zwecke ausgegeben.

Entsprechend argumentieren die MMT-Ökonomen: Staatsanleihen währungssouveräner Staaten seien Ersparnisse, die in der Vorrunde nicht weg besteuert wurden, und die sich der Staat nun zurück leihe und den Gläubigern damit eine sichere Anlagemöglichkeit für ihr Gespartes böte. Diese können, wie Adam Tooze erklärt, immer dann auf die Staatsanleihen zurückgreifen, wenn riskantere Transaktionen auf den Finanzmärkten schiefgingen.

Staatsschulden erscheinen heute teils als Spekulationsobjekte, teils als riesige soziale Hängematte für Wohlhabende und Finanzindustrie, sind aber zur Finanzierung von Staatsausgaben nicht notwendig. Zurückgezahlt werden sie nicht, wie Jörg Bibow darlegt. Sobald ein Wertpapier ausläuft, zahlt es die Zentralbank mit Zinsen an den Besitzer aus, indem zusätzliches Geld geschöpft wird und die Staatsschulden auf dem Papier weiter wachsen. Das macht Anleihen souveräner Staaten zu sicheren Handelsobjekten. Und sollte es auf den Märkten einmal Zweifel daran geben, kaufen deren Zentralbanken sie eben selbst: quantitative easing.

Aber was ist mit denjenigen, die ihre Steuer- und sonstigen Schulden nicht begleichen können? Dass die MMTler den Staat für ungewollte Arbeitslosigkeit verantwortlich machen, haben wir gesehen. Aber interessieren sie sich auch für die ungleiche Verteilung der Schulden und Einkommen, weltweit und in unserer Gesellschaft, und dafür, was dagegen getan werden kann?

Fortsetzung folgt.

 

 

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