Marx und das Geld

Der Artikel wurde am 24.11.2021 auf Makroskop veröffentlicht

Politische Injektionen von Geld in eine Volkswirtschaft erzeugen nichts als Inflation, meinte Marx. Daraus schließen moderne Marxisten, dass durch Fiskalpolitik die inhärente Dynamik der Kapitalakkumulation nicht veränderbar sei und der Ansatz von Keynes in die Irre führe.

Der Kapitalismus, ein System, das nicht durch den Wunsch nach verbesserten Konsummöglichkeiten angetrieben wird, sondern von dem Ziel, aus Geld mehr Geld zu machen, lässt sich nicht erklären, ohne sich mit eben jenem Geld zu beschäftigen. Diejenigen, deren politisches Bewusstsein durch Marx geprägt wurde, beginnen dabei selbstverständlich mit der Frage, wie aus G G’ wird.[1]

Marx erklärt das damit, dass allein die Arbeit, ein neues Produkt zu erzeugen vermag, welches mehr wert ist als die Summe der dafür eingesetzten Waren. Unter kapitalistischen Bedingungen verfügt nur der Besitzer der Produktionsmittel über diesen Mehrwert, die Lohnabhängigen erhalten lediglich einen Lohn, der sich nach den Reproduktionskosten für die Ware Arbeitskraft bemisst.

Vergleichen wir daher die erzeugten Waren miteinander, so zeigt sich, dass Preisunterschiede vor allem auf die Menge der für ihre Produktion eingesetzte Arbeit zurückführen lassen. Verwende man zur Vereinfachung des Warentausches ein universelles Wertäquivalent wie zum Beispiel Gold, so könnte man sagen, dass Warengeld Gold geronnene Arbeit repräsentiere.

Wirtschaftsankurbelung durch Geldschöpfung?

Marx ging entsprechend des zu seiner Zeit vorherrschenden Goldstandards davon aus, dass es normal sei, als Wertäquivalent eine Ware zu benutzen, die selbst werthaltig ist, etwa Tierfelle oder eben Gold. Entsprechend nahm er an, dass die Münz-Prägung nur ein technischer Vorgang sei, bei dem Gold in ein anerkanntes Zahlungsmittel verwandelt würde bzw. das Zahlungsmittel wieder zu Gold eingeschmolzen wird. Und er glaubte, dass die in einer Wirtschaft umlaufende Geldmenge, unter Berücksichtigung der Umlaufgeschwindigkeit dem Gesamtwert der produzierten Waren entspricht.

Im „Kapitel über das Geld“ in Heft I der ‚Grundrissekritisiert Marx die Ansichten von Pierre-Joseph Proudhon, der darauf hoffte, durch Banken mehr Geld in Umlauf setzen, und damit die Situation der Arbeiter verbessern zu können. Allein in der sozialen Auseinandersetzung mit dem Kapital könne sich die Lage der Proletarier verbessern lassen. Mit „Banktricks entwerteten die Banken lediglich ihr eigenes Papier“, so seine Überzeugung. Politisch initiierte Geldschöpfung erzeugte also nichts als Inflation.

Dieser Aussage schließen sich moderne Marxisten an. Sie seien, so Mitchell[2], weiterhin der Überzeugung, dass durch Fiskalpolitik die inhärente Dynamik der auf Klassenkampf beruhenden Kapitalakkumulation nicht veränderbar sei. Deshalb seien die von beispielsweise Keynes vorgeschlagenen fiskalpolitischen Interventionen abzulehnen:

„Keynes‘ Analyse dieser Frage, die zu dem Schluss kommt, dass die Geldpolitik in weiten Grenzen die Investitionsrate verändern und die Gesamtnachfrage bestimmen kann, steht in krassem Widerspruch zu der Annahme, zu der wir auf der Grundlage der Marxschen Diskussion gelangen, die die Auswirkungen der Geldpolitik auf die Sphäre von Geld und Kredit beschränkt …“. – Duncan Foley

Quantitätstheorie des Geldes

Aber so einfach ist die Sache nicht. Zum einen ist unsere Währung nicht mehr an ein knappes, werthaltiges Warenäquivalent gebunden. Zum anderen enthalten die hinter dieser Argumentation stehende Quantitätstheorie des Geldes (vergl. Macroeconomics, Kapitel 17.4) und die damit verbundene Vorstellung, eine Geldwirtschaft unterscheide sich im Grunde nicht essenziell von einer Tauschwirtschaft, einige Denkfehler. Diese These, wie Marx schon richtig erkannte, ist auch empirisch nicht haltbar:

  1. Eine Geldwirtschaft unterscheidet sich systematisch von einer Tauschwirtschaft. Die Tatsache, dass nicht für den Konsum, sondern für die Anhäufung von Geld produziert wird, führt dazu, dass nicht automatisch das vom Kapitalisten verdiente Geld in neue Produktion umgesetzt, oder vom Lohnabhängigen in Konsum verwandelt wird: Geld wird gehortet und gespart, ge- und verliehen, verzinst … So wird der Reproduktionsprozess gestört und unterbrochen, und Krisen sind vorprogrammiert, denn ob ein Kapitalist seine Gewinne aus dem Verkauf der produzierten Güter realisieren kann, ist unsicher.
  1. Schon deswegen kann die Wirtschaft nicht immer voll ausgelastet sein, wie das wirtschaftsliberale Modell bei flexiblen Löhne und Preisen impliziert. Dessen Vertreter behaupten, die Nachfrage nach Gütern sei prinzipiell so unendlich wie die Wünsche der Menschen. In einer Situation, in der die Menschen sich entscheiden, ihr Geld zu sparen und ihren Konsum in die Zukunft verschieben, schaltet die Wirtschaft von der Produktion von Konsumgütern auf Investitionsgüter um, um sich für die Befriedigung künftiger Konsumwünsche zu rüsten. Und sobald die Nachfrage nach einer speziellen Ware erfüllt sei, produziere man eben andere Waren, denn die Befriedigung des einen Bedürfnisses erzeugt viele neue.

Reale Unternehmen operieren aber nicht auf dieser Basis, so dass es zu erheblichen Konjunktur-Schwankungen kommen kann. In der Auseinandersetzung mit Ricardo zeigte Marx, dass schon die Grund-Bedürfnisse der Arbeiterklasse nicht gedeckt seien, sie aber kein Geld hätten, um diese zu befriedigen. Es fehle an effektiver (durch Zahlungsmittel gestützter) Nachfrage.

Auch herrscht nach Marx im Kapitalismus keine Vollbeschäftigung. Es gelte vielmehr das ‚kapitalistische Bevölkerungsgesetz‘ in Form einer Reservearmee, in die Arbeitskräfte nach Belieben entlassen, und aus der diese bei Bedarf wieder herausgeholt werden könnten. Besteht in einer Branche Fachkräftemangel, können Menschen aus anderen Branchen dennoch gleichzeitig massenhaft auf der Straße liegen. Im Kapital, Band III (S. 347), schrieb Marx:

„Der letzte Grund für alle wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und der beschränkte Konsum der Massen im Gegensatz zu dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionskraft der Gesellschaft ihre Grenze wäre.“

Rosa Luxemburg, John Maynard Keynes und andere entwickelten diesen Gedanken weiter. So zeigte Keynes, dass ein niedriges Lohnniveau zwar für den Einzelkapitalisten die Einstellung weiterer Arbeitskräfte attraktiv macht, da aber dadurch die Gesamtnachfrage sinkt, wird die Wirtschaft ausgebremst, und die Arbeitslosenzahlen sinken nicht, entgegen den Erwartungen der Neoklassiker.

Was bedeutet das alles für die Staatsausgaben?

Der Staat kann die Ressourcen und Arbeitskräfte, die das kapitalistische System links liegen lässt, aktivieren. Um sich die dazu nötigen finanziellen Mittel zu beschaffen, braucht er heute weder dem ‚normalen Wirtschaftskreislauf‘ Geld zu entziehen – wie die Quantitätstheorie des Geldes unterstellt – noch die Piraten losschicken, wie einst die britische Königin. Als Herr der Fiat-Währung schöpft der Staat es einfach. Weder die Konkurrenz zu privaten Unternehmen noch Inflation sind die zwangsläufige Folge. Das ist jedoch etwas, was Marx in Zeiten des Goldstandards und unentwickelten Zentralbankwesens nicht sehen konnte, und wofür er sich auch nicht besonders interessierte.

Die Quantitätstheorie des Geldes und damit die Vorstellung, dass die Inflationsrate über die Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank ankommt, ist heute noch weit verbreitet. So wird aktuell wieder verkündet, Keynes sei widerlegt, die ‚Corona-Schulden‘ seien schuld an den aktuellen Preissteigerungen und der Stagflation. Die hohen Preise resultieren jedoch nicht aus der Geldmenge, sondern entstanden durch Angebotsengpässe. Ein empirischer Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation ist nicht nachweisbar.

Besonders nach der Bankenkrise stiegen in den modernen Industriestaaten die Geldmengen extrem stark an (vergl. Macroeconomics, Kapitel 2.3), eine inflationäre Entwicklung war aber nicht zu beobachten. Zudem kann die Zentralbank die Geldmenge gar nicht kontrollieren, weil sie den Privatbanken erlaubt, nach eigenem Ermessen Geld mithilfe von Krediten zu schöpfen. Das passiert per Mausklick, sie müssen dazu nicht erst das Geld der Sparer einsammeln oder sich Zentralbankgeld beschaffen.

Wert von Geld

Was macht aber nun mein Geld sicher, wenn es an sich völlig wertlos ist, und die Geldmenge sich noch nicht einmal grundsätzlich an den Warenwerten orientiert?

Die Antwort der MMT: ein Zwangsverhältnis. Weil ein souveräner Staat seine Bürger dazu zwingt, ihre Steuern in Staatsgeld zu zahlen, brauchen alle diese Währung. Durch seine Ausgaben garantiert er, dass sie immer erhältlich ist. Im Grundsatz (wenn auch nicht für jeden Zahlungsvorgang) gilt: Staatsausgabe vor Steuereinnahme. In der Praxis werden für diese Ausgaben verzinste Staatsanleihen ausgegeben, das ist aber lediglich ein Umweg. Die Wirklichkeit ist selbstverständlich etwas komplexer.

Was ist in einer Fiat-Währung eigentlich Geld?

Laut MMT ist es nichts weiter als ein riesiges Buchhaltungssystem, ein Grid, in dem sorgfältig alle Pluspunkte (erworbene Ansprüche auf Geld, zum Beispiel durch Arbeit, unternehmerische Gewinne oder Verkäufe) und alle Minuspunkte (Ansprüche anderer Privatpersonen auf das erworbene Geld) registriert und miteinander verrechnet werden. Die Pluspunkte der einen sind die Minuspunkte der anderen Seite. Was hinter den Punktwerten steht, geronnene Arbeit oder ein Spekulationsverlust, kann vollkommen unterschiedlich sein. Unter Berücksichtigung der Außenhandelsbilanz ergibt die Summe aller Transaktionen Null.

Zwischenstaatlich und für alle nicht-staatlichen Mitglieder dieses Systems gilt, dass sie sich und letzten Endes das ganze System in Schwierigkeiten bringen können, wenn ihre Bilanz dauerhaft im Minus verbleibt, und sie die damit verbundenen Ansprüche nicht bedienen können. Das trifft auch für die Banken zu, trotz ihrer Befugnis zur Geldschöpfung. Denn (noch) nicht zurückgezahlte Kredite wirken sich negativ auf deren Bilanzen aus, wenn diesen keine anderen Werte gegenüberstehen.[3]

Um seine – wie auch immer definierten – Hoheitsaufgaben erfüllen zu können, gibt der Währungssouverän (und nur er!) Pluspunkte (in Form von Staatsgeld bzw. ‚Staatsschulden‘) in dieses System hinein. Er kann auch kraft seiner Staatsmacht nach Gutdünken Minuspunkte (Steuern) einsammeln. Damit stellt er im Grid die Null-Balance her und beeinflusst gleichzeitig das Niveau, auf dem das geschieht. So ist es ihm zum Beispiel möglich, bis zur vollen Auslastung der Wirtschaft – ohne Belastung der übrigen Agenten – Staatsaufträge zu vergeben, die mit landeseigenen Ressourcen abgearbeitet werden können.

Umgekehrt bremst er gegebenenfalls durch höhere Steuern die Wirtschaft insgesamt oder spezielle Wirtschaftszweige aus. Grundsätzlich ist jeder Pluspunkt, der nicht wieder durch Minuspunkte eingesammelt wird, für irgend jemandem im Grid ein Gewinn, so wie jeder Minuspunkt, der die Pluspunkte übersteigt, für irgend jemanden einen Verlust darstellt. Die jeweilige Wirkung einer Maßnahme hängt von der konkreten wirtschaftlichen Situation eines Landes ab und davon, wen die Gewinne und Verluste treffen.

Die vom Staat neu hinzugefügten oder entnommenen Punkte werden fortlaufend als Staats-Schulden oder -Einnahmen verbucht. Für den Grid selbst ist diese Summe aber unerheblich, weswegen Staatsschulden in eigener Währung nicht zurückgezahlt werden müssen, sondern einfach fortgeschrieben werden können. Theoretisch könnte es für diesen Vorgang auch ein getrenntes Buchungssystem geben. Aus Gründen der Sicherheit und Praktikabilität ist das in der Regel jedoch nicht so.

Fortsetzung folgt.

[1] Zur Erinnerung: Einführung in den Marxismus von Johann Most, von Marx selbst redigiert
[2] Zu diesen Texten wurde ich durch zwei Blogbeiträge von Bill Mitchell mit den Titeln „(Modern) Marx and MMT part 1 and part 2“ angeregt, die zitierten Quellen stammen von dort und wurden von mir übersetzt.
[3] Im Gegensatz zu den Mainstream-Ökonomen sagten MMT-Vertreter die Bankenkrise von 2008 richtig voraus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Du kannst diese HTML-Tags und -Attribute verwenden:

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>