Wider die Alternativlosigkeit

Im Folgenden eine – nicht von Fabio De Masi autorisierte – Zusammenfassung seines Vortrages bei einer Veranstaltung von Martin Sonneborn.

Ich betone die Nichtautorisierung, weil ich den Artikel aus der Rolle einer Ghostwriterin geschrieben habe.

Ich würde ihn zusätzlich gerne fragen, welches Interesse aus seiner Sicht die Finanzmärkte an der staatlichen Sparpolitik haben. Im Text  kommt das  nur im Zusammenhang mit dem geplatzten Deal zur Transaktionssteuer zur Sprache.

Demokratie versus Finanzmärkte

Nach der Finanzkrise 2008 gab es die Hoffnung, dass die – aufgrund politischer Entscheidungen – seit Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre immer mehr entfesselte Macht der Finanzmärkte zurückgedrängt werden würde. Das geschah aber nicht, und das wiederum hat ernste Folgen für die Demokratie und die sozialen Verhältnisse in Deutschland und Europa.

Im Jahre 2012 wurde z.B. im Bundestag unter der Regierung Merkel der Fiskalpakt verabschiedet, die europäische Schuldenbremse, die die EU-Mitglieder dazu verpflichtet, bestimmte Obergrenzen für die Staatsverschuldung einzuhalten. Dazu war eine Änderung des Grundgesetzes notwendig, die die Zustimmung von SPD und Grünen erforderte. Der Pakt beinhaltete den Deal, dass die Staaten einen Teil ihrer Haushaltskontrolle abgeben, im Gegenzug jedoch die Finanztransaktionssteuer eingeführt wird. Der Fiskalpakt wurde verabschiedet, die Finanztransaktionssteuer jedoch – noch immer – nicht; und, trotz der Versprechungen von Olaf Scholz, wurde sie auch nicht Bestandteil des Koalitionsvertrags der Ampelkoalition.

Die Macht der Finanzmärkte bleibt ungebrochen. Bei seiner Abgeordnetentätigkeit ist er immer wieder auf Finanzskandale gestoßen. Und auch wenn wir es heute mit veränderten Finanzmärkten zu tun haben, ist ihre Macht weiterhin gefährlich. Heute versuchen z.B. digitale Unternehmen, neue große mächtige Schattenbanken zu werden. Vor einigen Jahren war ein Vorhaben von Facebook im Gespräch, seine eigene digitale Währung einzurichten. Die Dimension einer solchen Bank wird deutlich, wenn man sich klar macht, dass ungefähr ein Drittel der Menschheit Kunde von Facebook (inklusive Whatsapp, Instagram etc.) ist.

Die wirtschaftliche Unvernunft deregulierter Finanzmärkte und Schuldenbremsen

Die Befürworter unkontrollierter Finanzmärkte und des Fiskalpaktes sehen sich als Vertreter wirtschaftlicher Vernunft. Das aber trifft nicht zu.

Nehmen wir das Beispiel der City of London. Das Finanzzentrum entwickelte sich in den 1980er Jahren zum Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung Großbritanniens. Tatsächlich wurde dort bis zur Finanzkrise gutes Geld verdient, und die Banken wurden dann durch staatliche Intervention aus der Krise gerettet. Aber der Aufstieg der City lief parallel zur Deindustrialisierung Großbritanniens. Seither stagnieren dort die Wachstumsraten und die Produktivitätsentwicklung, wie eine große Studie von Forschern der Universität Cambridge zeigt. Es trifft also nicht zu, dass freie Finanzmärkte zu mehr Wirtschaftswachstum führen.

Oder betrachten wir die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands. Es geriet in der Folge der Finanzkrise in eine Staatsschuldenkrise und die „Rettung“ der Staatsfinanzen war an harte Strukturreformen geknüpft. Diese Austeritätspolitik führte zum Zusammenbruch der Wirtschaft, und die Staatsschuldenquote explodierte von 120% auf 180%. Heute, fast 15 Jahre später, befindet sich die Wirtschaftsleistung Griechenlands immer noch unter dem Niveau von vor der Finanzkrise.

Es werden bis heute immer wieder die gleichen Debatten geführt, und immer wieder konnte man ökonomisch beobachten, dass es keine besonders schlaue Idee ist, in einer Krise die Staatsausgaben zu kürzen. Im Gegenteil: man kann sich ins Koma sparen, und im Ergebnis steigen die Schulden anstatt zu sinken. Die Länder brauchen mehr Investitions-Spielraum. Italien z.B. war bis zur Corona-Krise das einzige Industrieland, das über 30 Jahre lang Haushaltsüberschüsse erzielt hat. Die Reduktion der Staatsausgaben führt jedoch, wie in Griechenland, dazu, dass die Einnahmen der Unternehmen und der privaten Haushalte sinken. Wenn der Staat versucht, viel zu sparen, die Verbraucher, z.B. wegen der Inflation, das Geld zusammenhalten, und die Unternehmen nicht investieren, dann sinkt die Wirtschaftskraft, und die Staatsschuldenquote steigt.

Es ist auch nicht so, dass der Staat immer erst Steuern einnehmen muss, bevor er Geld ausgeben kann. Der Staat hat Instrumente, die im Zweifelsfall sehr viel Feuerkraft haben, und die die nötigen Ressourcen mobilisieren können. Dazu muss ich gar nicht theoretisch werden. Z.B. haben wir gesehen, wie die Eurokrise beendet wurde, nämlich indem die Zentralbank das nötige Geld bereit stellte, weil ein Staat im Zweifelsfall nie in seiner eigenen Währung pleite gehen kann.

Natürlich heißt das nicht, dass es sinnvoll ist, hemmungslos Geld auszugeben, denn eine Wirtschaft kann auch überhitzen, und es kann zu Inflation kommen. Aber gerade heute haben wir dieses Problem nicht. Die jetzigen Preissteigerungen liegen hauptsächlich an den Energiepreisen und der Unterbrechung der Wertschöpfungsketten in der Folge der Corona-Krise. Heute ist die Staatsverschuldung unser geringstes Problem.

Alternativen zur Schuldenbremse

Aktuell argumentieren die Koalitions-Politiker, dass ihnen wegen der Schuldenbremse die Hände für höhere Staatsausgaben für Soziales und Zukunftsinvestitionen gebunden sind.

Dabei handelt es sich jedoch um eine politische Entscheidung, die sie selbst ganz bewusst getroffen und immer wieder verteidigt haben.

Auch ohne die Abschaffung des Fiskalpaktes und der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse haben die europäischen Staaten und auch Deutschland einige Spielräume, deren Nutzung aber in der Vergangenheit von der politischen Mehrheit immer abgelehnt wurde. Schon während seiner Zeit im europäischen Parlament machte De Masi den Vorschlag, den europäischen Staaten mehr Bewegungsfreiheit zu geben und wenigstens die Investitionen aus dem Fiskalpakt herauszunehmen, um zum Beispiel den ökologischen Umbau oder die Entwicklung von Zukunftstechnologien zu fördern. Das war eine sehr moderate Idee, denn so wichtige Aufgaben wie Bildung wären davon sowieso ausgenommen gewesen, weil Lehrergehälter u.ä. nach ökonomischer Konvention keine Investitionen, sondern konsumtive Staatsausgaben sind. Die Mehrheit im Europäischen Parlament wollte eine solche Ausnahme aber nur für Militärausgaben zulassen. Schon damals gab es also eine Diskussion darüber, die Schuldenregeln nicht auf Militärausgaben, wohl aber auf zivile Investitionen in Krankenhäuser oder ähnliches anzuwenden.

Den gleichen Vorschlag machte er 2019 im Deutschen Bundestag. Während er sich daraufhin als Linker in der merkwürdigen Situation wiederfand, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie diese Forderung wohlwollend betrachtete, wurden er und einige wenige Mitstreiter im Bundestag angegriffen und völlig isoliert. Und dann kam der Ukraine-Krieg. In kürzester Zeit wurde durch die Ampel-Koalition ein Sonderfonds für die Bundeswehr gebacken.

Aber es gibt auch Möglichkeiten, die Schuldenbremse zu umgehen, nämlich der Fall einer außerordentlichen Notsituation, der bei besonders schweren Störungen des Wirtschaftslebens erklärt werden kann. Eine solche Notsituation war die Corona-Krise. Trotz Ukraine-Krieg und Energiepreisschock beschloss die Ampel danach jedoch, den außerordentlichen Notstand zu beenden und stattdessen auf Schattenhaushalte zu setzen. De Masi habe das mit einigen ehemaligen Kollegen von der SPD und den Grünen besprochen, die er sehr schätze, und angesichts der schlechten Umfragewerte der Kanzlerpartei vor den politischen Folgen gewarnt. Diese Warnungen wurden jedoch nicht ernst genommen – bis zum Verfassungsgerichtsurteil.

Unverantwortliche Haushaltspolitik

Die Züge fahren kaum noch pünktlich, wir sind in Deutschland im Pisa-Ranking abgestürzt, wir hatten einen riesigen Energiepreisschock, wir haben einen Strukturschock in der deutschen Wirtschaft, wir müssen irgendwie den ökologischen Umbau schaffen. Und in einer sozialen Situation, in der der Zusammenhalt spätestens seit der Corona-Krise sowieso schon sehr brüchig war, und die Staatsverschuldung eigentlich unser kleinstes Problem ist, kündigt die Regierung die Kürzung der Staatsausgaben an und legt gleichzeitig einen riesigen Sonderfonds für das Militär auf. Da ist es nicht verwunderlich, dass die AFD im Osten in Umfragen bei 32% liegt. Die Regierungsparteien stellen dieses Vorgehen als alternativlos dar und diskutieren in den Talkshows irgendwie über Gendern und Bürgergeld! Das zeugt aus De Masis Sicht von gefährlichem Realitätsverlust.

In dieser äußerst ernsten politischen Situation scheint auch Bundeskanzler Scholz keinen Plan B zu haben. Stattdessen weisen er und seine Koalition reflexartig jede Kritik an der Ampel zurück, mit der Begründung, dass sonst die Umfragewerte der AFD stark steigen und auch die CDU unter Friedrich Merz keine Alternative bietet. Damit schafft man jedoch einen Debattenkorridor, in dem politische Maßnahmen nicht mehr hinterfragt werden können, in dem die Bürger sich zwischen Pest und Cholera entscheiden müssen, zwischen einer unverantwortlichen Politik und der AfD. Das ist gefährlich und entspricht, wie oben dargestellt, nicht den realen Gegebenheiten, denn es gibt andere Möglichkeiten.

Offene Debatten anstelle von Bekenntnissen

Dass wir uns heute in einem solchen Dilemma befinden, all die Probleme, die wir jetzt diskutieren, die in den Schulen und die vielen anderen Brüche in unserem Land, haben mit den politischen Prozessen der letzten Zeit, mit der Entwicklung des Internets und der Diskussionskultur zu tun, wobei die Corona-Krise und der damit verbunden Digitalisierungsschub als Katalysator wirkten. Egal, wie man zu dieser oder jener Maßnahme stehen mag, es gab damals ein gesellschaftliches Klima, in dem es im Grunde nur zwei Seiten gab, entweder man hat hörte jeden Morgen den Drosten-Podcast, oder man behauptete Corona gibt es nicht bzw. werde übertrieben. Irgendwie gab es nichts dazwischen, und das war eine sehr schwierige politische Situation. Selbst als Politiker saß man zu Hause und musste nun so gut es ging über soziale Medien Politik machen. Gleichzeitig hatten wir den Aufstieg des Internets mit all den Algorithmen, über die große digitale Unternehmen kontrollieren, was wir lesen und wie wir diskutieren. Das führte tatsächlich zu einer starken Polarisierung in der öffentlichen Debatte, und seines Erachtens hat das unsere Gesellschaft über Corona hinaus krank gemacht, krank im Sinne des demokratischen Prozesses und der Diskussionskultur, die wir jetzt haben. Ob es um Corona geht oder um den Ukraine-Krieg oder was auch immer, es gibt immer nur ein Ja, und man muss sich permanent bekennen.

Vernünftige Wirtschaftspolitik anstelle von Alternativlosigkeit

Die Folgen der Alternativlosigkeit konnte man schon in Griechenland beobachten: Nachdem sie sich als linke Hoffnungsträgerin präsentiert und so einen überwältigenden Wahlsieg eingefahren hatte, war es ausgerechnet die Syriza-Partei, die sich zur Durchsetzung der Austeritätspolitik erpressen ließ, um nicht aus dem Euro-System ausgeschlossen zu werden. Heute ist ein ehemaliger Investmentbanker Vorsitzender von Syriza, der in der griechischen Regierung während der Finanzkrise Lohnkürzungen und Sparpolitik forderte.

Die Aufgabe, den Protest gegen eine solche Politik zu organisieren, wurde und wird von der Linken nicht mehr wahrgenommen. Und das führt/e zum Erstarken der rechten Kräfte, nicht nur in Griechenland, sondern europaweit, auch hier in Deutschland. Das muss sich ändern. Wir erhalten die Demokratie nicht dadurch, dass wir bedingungslos zur Politik der Regierungskoalition stehen, sondern es ist umgekehrt: Die Fortsetzung der unverantwortlichen Politik der Koalition in der aktuellen Legislaturperiode gefährdet die Demokratie.

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