Der folgende Debattenbeitrag von Eckart Leiser wurde zuerst von „der Freitag“ und dann von den „Nachdenkseiten“ abgelehnt, von letzteren, weil das Thema „ein Minenfeld“ sei. Erfreulicherweise wurde er, ins Spanische übersetzt, umgehend von der spanischen Online-Zeitung „Nueva Tribuna“ veröffentlicht.
Gastbeitrag von Eckart Leiser
Über die sehr verschiedene Reaktion auf den aktuellen Krieg zwischen Israel und der Hamas in anderen europäischen Ländern im Vergleich zu Deutschland, konkret in Spanien, ist an anderer Stelle berichtet worden (s. Freitag online 14.10.2023). Zu diesem Unterschied eine Reflexion, die über die unauslöschliche und unbestreitbare deutsche Schuld des Holocaust als Erklärungsansatz hinausgeht:
Ausgangspunkt: Der Anlass für die Unterdrückung pro-palästinensischer Proteste und die Beschlagnahme palästinensischer Flaggen und Halstücher in Deutschland durch die Polizei sollte letztlich nicht im Ahnden des womöglich stattfindenden „Feierns“ der Gewalttaten von Hamas gesucht werden, sondern im deutschen Antisemitismus, der – so die unterschwellige Angst der staatlichen Autoritären – durch die Kriegsverbrechen Israels und die durch diese erzeugte Empörung weiteren Auftrieb erhalten könnte.
Es ist dieser Antisemitismus, der den deutschen Staat dazu bringt, sich im Effekt zum Komplizen oder jedenfalls stillschweigenden Tolerierer israelischer Kriegsverbrechen zu machen, aus Angst vor dem internationalen Imageschaden, den das öffentlich sichtbar werdende Erstarken von Antisemiten und Neonazis, genährt und gerechtfertigt durch das Verhalten Israels, hervorrufen würde.
Das Einschreiten gegen pro-palästinensische Demos hat insofern eine Alibifunktion und soll gleichzeitig die wirklichen Antisemiten dazu anhalten, sich in der aktuellen Situation bitte diskret zu verhalten oder am besten „in ihren Löchern“ zu bleiben. Und zumindest „diskret“ verhalten tun sie sich ja auch großenteils: antisemitische Aktionen wie Schmierereien finden anonym und versteckt statt. Was den öffentlichen „Antisemitismus“ der Palästinenser betrifft: Diese haben ja bekanntermaßen bis zur Nakba 1948 friedlich mit den Juden zusammengelebt (s. Scott Ritter im Gespräch mit Richard Black). Auf den dann stattfindenden jüdischen Terror zurückgehende Gefühle von Wut und Rache sollten nicht mit Antisemitismus in einen Topf geworfen werden. Dass die deutsche Politik im Einklang mit den damals maßgebenden Mächten seinerzeit meinte, dieser jüdische Terror sei verzeihbar gewesen, denn nur er hat die Gründung des Staates Israel ermöglicht (dessen Sicherheit zur deutschen „Staatsräson“ erhoben wurde), steht auf einem anderen Blatt. Und in der Tat war der Wunsch der Juden, nach der Erfahrung des Holocaust einen eigenen Staat zu haben, legitim und verständlich.
Um zur Aktualität zurückzukehren: Wir haben es zur Zeit in Deutschland mit einer verdrehten Botschaft zu tun, die besagt „Wir Deutsche kämpfen immer auf der Seite der Juden, und das Verbot pro-palästinensischer Flaggen, Kopftücher und pro-palästinensischer Demos ist Teil dieses Kampfes“.
Ergo: Das Problem Deutschlands im Umgang mit dem Krieg zwischen Israel und Hamas ist ein nie überwundener Antisemitismus. Das schließt im Übrigen eine Paradoxie ein: Unter den für die Repression pro-palästinensischer Demos eingesetzten Polizisten gibt es – und vermutlich nicht nur in Hessen (s. Böhmermann) – überdurchschnittlich viele Antisemiten und Neonazis (es gibt dazu immer mal wieder Nachrichten, aber Statistiken naturgemäß nicht). Das Verstehen dieses deutschen Antisemitismus und seine Bekämpfung geht über die politische Dimension weit hinaus und nach Einschätzung etwa von Klaus Theweleit weit in die Tiefenpsychologie hinein.
Der weitere Abbau demokratischer Grundrechte durch den deutschen Staat, wie das der Versammlungsfreiheit – ein Abbau, der Antisemiten und Neonazis in die Hände arbeitet – ist bei dem beschriebenen Vorgehen ein Nebeneffekt.
Die deutschen Mainstream-Medien, das öffentlich-rechtliche Fernsehen eingeschlossen, spielen bei alledem brav mit, so diese Tage bei Lanz, wo die Schuld der Hamas an der Bombardierung des Al-Ahli-Arab-Krankenhauses als unbestreitbare Tatsache gehandelt wurde, ohne auch nur das dagegen sprechende Material, etwa das Video von Al-Jazeera, das in spanischen Medien wohl zitiert wurde, zu erwähnen.
qbz sagt:
Meiner Ansicht nach werden die Angriffe der Hamas und die Geiselnahme in DE instrumentalisiert für die Vorurteile gegenüber den arabischen Migranten und den Muslimen, wozu der Antisemitismus als Vorwand gilt. .Ich verweise dabei nur auf die Hetzreden von Alice Weidel im Bundestag über „Kopftuchmädchen“ und „Messerstecher“. Der „Social Media“ Bereich ist voll von rassistischen Kommentaren gegen Araber. Im Rechtsextremismus findet man Ideologien, welche es sich zur Aufgabe macht, die „friedfertige“ christliche, abendländische, weisse Kultur gegen die „Überfremdung“ durch den „kriegerischen“ Islam zu verteidigen. Im Extremfall bringt diese Ideologie dann Amokläufer wie den Breivik hervor oder den Rathjen, den Attentäter von Hanau, der 9 Migranten erschossen hat.