Sind Putin und Stalin Seelenverwandte?

Auf Putins Artikel in der Zeit hat der Grüne Ralf Fücks mit einer Twitter-Serie reagiert, in der er Putin

„Auslassungen, Legenden + Verkehrung der Tatsachen.“

vorwirft. Putin verdrehe die Geschichte, weil er den Hitler-Stalin-Pakt nicht erwähnt. Demnach trägt die Sowjetunion die Mitverantwortung für Hitlers Überfall auf Polen und somit den zweiten Weltkrieg.

Da musste ich doch mal nachlesen und fand, dass es so einfach nicht ist. Vielmehr gilt wie Patrick Armstrong schreibt:

„Der Molotow-Ribbentrop-Pakt war das Ergebnis des Scheiterns von fast sechs Jahren sowjetischer Bemühungen, eine Anti-Nazi-Allianz mit den Westmächten zu bilden“.

Patrick Armstrong befasst sich in einem Artikel ausführlich mit dem Kontext des Hitler-Stalin-Pakts und Putins Haltung zu Stalin. Deswegen habe ich den Artikel übersetzt. Patrick_Armstrong _zum_Hitler_Stalin_Pakt

Hier einige Zitate aus meiner Übersetzung:

„Die Kernaussage ist, dass der Pakt zeigte, dass Hitler und Stalin seelenverwandt waren und sich verschworen hatten, den Krieg zu beginnen und ihre Nachbarn zu zerreißen. In den meisten Fällen versuchen die Autoren, dies mit dem heutigen Russland in Verbindung zu bringen: Feind damals, Feind heute.
Die meisten dieser Beiträge gehen davon aus, dass Putin eine Art Seelenverwandschaft zu Stalin hat. Aber ist es „Billigung“, den Kommunismus einen Weg in eine Sackgasse zu nennen – schon früher gesagt, aber zuletzt im vergangenen Dezember?“

„Aber die Argumente – eigentlich Behauptungen – fallen in sich zusammen, weil keiner von ihnen weiß, dass das, was Stalin wirklich wollte, eine Allianz mit den Westmächten war, um Hitler zu stoppen: Das Molotow-Ribbentrop-Abkommen war Plan B, nicht Plan A.
Als ich in den 1960er Jahren studierte, war ein Text in einem meiner Kurse AJP Taylors ‚Origins of the World War II‘. Darin wurde die britisch-französische Mission erwähnt, die auf Stalins Einladung hin nach Moskau geschickt wurde, um eine Allianz zwischen der UdSSR, Großbritannien und Frankreich zu bilden, um Hitler aufzuhalten. Dieses Ereignis ist größtenteils in das Gedächtnisloch gerutscht, taucht aber von Zeit zu Zeit wieder auf, wie z. B. 2008: „Stalin ‚plante, eine Million Soldaten zu schicken, um Hitler zu stoppen, wenn Großbritannien und Frankreich dem Pakt zustimmten'“. Stalins Anti-Hitler-Pakt scheiterte, und da er wusste, dass die UdSSR auf Hitlers Zielliste stand, kaufte er mit dem Pakt Zeit und begann, Territorium zu erobern, um einen Puffer zu gewinnen.

Mit anderen Worten, all diese Artikel lassen in ihrem anklägerischen Enthusiasmus den Kontext weg (oder stellen im Falle des Guardian die russische Sichtweise als bloße – und, wie man verstehen soll, unberechtigte – Behauptung dar). Wie gesagt, ich war mir grundsätzlich dessen bewusst, dass Stalin ein Angebot an Paris und London gemacht hatte, und verstand daher, dass der Pakt mit Deutschland sein Plan B war,…“

„Das Scheitern von Moskaus langen Bemühungen, ein Bündnis gegen Hitler zu schmieden, ist der Grund für den Molotow-Ribbentrop-Pakt, nicht Stalins Allround-Bösartigkeit und seine Kameradschaft mit Hitler. Der Pakt war böse, in einer bösen Zeit, aber er war Stalins zweite Wahl. Das sind die historischen Realitäten.“

„Wenn man wirklich versteht, dass Stalins Plan A den Krieg ganz hätte verhindern können, kann man vielleicht verstehen, wie irritiert die Russen sind, wenn man ihnen vorwirft, den Krieg begonnen zu haben.“

„Es gibt allerdings eine unfreiwillige Parallele, die niemandem einfällt: Sowohl Putin als auch Stalin suchten zuerst im Westen nach Partnern; beide wurden enttäuscht. Stalin erkannte wahrscheinlich mit München, dass seine Bündnisidee unmöglich war, und ich glaube, dass für Putin der Moment mit Libyen kam. Sie entschieden, dass der Westen недоговороспособны (russisch für „unfähig zu verhandeln“ – Anm. d. Red.) war. Dieses komplizierte russische Wort enthält in sich die Bedeutung, dass man keine Vereinbarung mit ihnen treffen kann, und selbst wenn man es tut, werden sie sie nicht einhalten. Es gibt also doch einen Zusammenhang, aber nicht den, den diese Leute vermuten.“

Über Patrick Armstrong
Patrick Armstrong war ab 1984 Analyst im kanadischen Verteidigungsministerium mit Spezialisierung auf die UdSSR/Russland und von 1993 bis 1996 Berater in der kanadischen Botschaft in Moskau. Er ging 2008 in den Ruhestand und schreibt seither im Netz über Russland und verwandte Themen.

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