Vor zwei Wochen erschien im Tagesspiegel ein Artikel, in dem Aktivisten von Fridays for Future wegen ihrer Parteinahme für die Palästinenser kritisiert wurden, die zum Teil auch die Unterstützung der BDS-Bewegung beinhaltete. Im Artikel kommt fünf Mal das Wort „antisemitisch“ bzw. „Antisemitismus“ vor, ohne der deutschen FFF-Sektion direkt Antisemitismus vorzuwerfen. Das Wort „Apartheid“ kommt natürlich nicht vor.
Ich habe folgenden Kommentar abgegeben, der aber nicht freigeschaltet wurde:
Der Tagesspiegel hat es bisher nicht einmal geschafft zu erwähnen, dass Human Rights Watch die israelischen Zustände als Apartheid charakterisiert hat. Vermutlich werden das viele Kommentatoren in diesem Zusammenhang aufgegriffen haben; in den Kommentaren ist aber das Wort „Apartheid“ kein einziges Mal zu finden. Vermutlich will man nicht, dass die Leser es auf diesem Weg erfahren. Ich nehme also an, dass auch dieser mein Kommentar nicht freigeschaltet wird, würde mich aber freuen, wenn doch. Jeder informierte Mensch weiß es ohnehin, die Aktivisten von Fridays for Future mit Sicherheit. Um so peinlicher für den Tagesspiegel.
Inzwischen stehen unter dem Artikel 344 Kommentare. Kein einziger dabei, der den Report von Human Rights Watch erwähnt, auch keiner, der sich auf den Report der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem bezieht, der Israel ebenso als Apartheidsregime kennzeichnet.
Es scheint mir doch sehr wahrscheinlich, dass auch viele andere Kommentatoren das hätten erwähnen wollen. Aber offensichtlich sind solche Kommentare durchgängig abgewiesen worden, obwohl einige, in denen z.B. „apartheidsähnliche Zustände“ kritisiert werden, durchgelassen wurden.
Der Tagesspiegel, und mit ihm die gesamte Mainstreamjournaille, befinden sich in einem sehr akuten Dilemna. Angesichts der kaum zu widerlegenden Einschätzungen der Menschenrechtsorganisationen findet man sich plötzlich in der Rolle des Verteidigers eines Apartheidsregimes, was es natürlich sehr viel schwerer macht, Israelkritiker, Unterstützer der palästinensischen Sache und BDS-Aktivisten als antisemitisch inspiriert zu denunzieren.
Das ist eine große Sache!
Dass Human Rights Watch in Israel Apartheid feststellt, mit einer detaillierten Begründung, müsste eigentlich (1) eine Meldung wert sein, (2) ein Folge von vertiefenden Beiträgen auslösen und (3) der Gegenstand von kontroversen Debatten in den Blättern und in den Talkshows sein.
Stattdessen: (fast) nichts. Der Bericht von Human Rights Watch erschien am 27. April 2021. Bis heute haben lediglich die Süddeutsche, die FR und FAZ mit jeweils einer kleinen Meldung reagiert. In Spiegel-Online erwähnt ein Interviewpartner die Einschätzung von Human Rights Watch, kein eigener Artikel. In Tagesspiegel, ZDF, Tagesschau kein Wort. Bei tagesschau.de werden auch die Leserkommentare von Google erfasst, also auch da wurden alle einschlägigen Leserkommentare unterdrückt.
Hier sind die URLs, mit denen ich gesucht habe. Mit dem Operator „site:<domain>“, also z.B. „site:spiegel.de“, lässt sich die Suche auf eine Website eingrenzen. So kann man überprüfen, ob innerhalb eines bestimmten Zeitraums bestimmte Suchbegriffe auf der Website überhaupt vorkommen: Tagesspiegel, Spiegel, Tagesschau, ZDF, Süddeutsche, FAZ und FR.
Was geht wohl in den Köpfen von Journalisten, Redakteuren und Moderatoren vor, wenn sie zu einer solchen primitiven Abwehr greifen? Ich frage mich das wirklich.
us sagt:
Sollten wir Deutsche uns wegen unserer historischen Schuld aus den israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen heraushalten?
Das wäre schon fast ein Akt des Widerstandes, denn für unsere politische Klasse ist Sich-Heraushalten ein No Go.
Dazu Außenminister Heiko Maas:
Die Angriffe aus Gaza seien „inakzeptabel“. Israel habe ein Recht auf Selbstverteidigung.
Hingegen sagt der Journalist Ali Abunimah:
(https://www.trtdeutsch.com/exklusiv/journalist-nach-dw-interview-keine-redefreiheit-in-deutschland-5485858)