Der Ukraine-Krieg ist kein Stellvertreterkrieg zwischen den USA bzw. dem kollektiven Westen und Russland, argumentiert die US-amerikanische Sicherheitsexpertin Fiona Hill. „In der gegenwärtigen geopolitischen Arena ist der Krieg genau das Gegenteil – ein Stellvertreterkrieg für die Rebellion Russlands und des ‚Rests‘ gegen die Vereinigten Staaten. Der Krieg in der Ukraine ist vielleicht das Ereignis, das das Ende der Pax Americana für alle sichtbar macht.“
Der wichtigste Widerspruch unserer Zeit ist weder der zwischen Demokratien und Autokratien noch der zwischen Kapital und Arbeit, sondern der zwischen dem US-amerikanischen Hegemonieanspruch und dem Rest der Welt. Die Gestaltung der neuen Weltordnung und wie die Staaten, in denen wir leben, sich darin verorten, ist das alles überlagernde Thema. Nicht die Ablösung des Kapitalismus an sich steht damit auf der Tagesordnung, sondern die Verwirklichung von Alternativen zu seiner neoliberalen, finanzimperialistischen Form. Was bedeutet das für sozialistische Theorie und Praxis?
Ein Diskussionsbeitrag.
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Inhalt
Vorwort 2
1. Sieg des Kapitalismus? 7
2. Krieg zwischen Autokratien und Demokratien? 11
3 Fünf Thesen 17
These 1: Die Pole, an denen sich die gesamte Weltpolitik heute ausrichtet, sind der globale
Dominanz-Anspruch der USA und dessen zunehmende Zurückweisung durch den Rest der Welt
Hegemonie der USA 17
Des Kaisers neue Kleider 19
Der unipolare Moment 21
Ein Imperium im Abstieg 23
These 2: Die Behauptung nationaler – strategischer – Souveränität ist eines der Kernthemen der
heutigen „Systemauseinandersetzung“
Das Imperium gegen den Rest der Welt 25
Die Realität des Nationalstaats 28
Die Probleme des Nationalstaats 30
Ethnische Konflikte 30
Klasseninteressen und nationales Interesse 32
These 3: Die Verwirklichung des UN-Prinzips der souveränen Gleichheit der Völker im Rahmen
einer multipolaren Weltordnung ist die Antwort auf imperialistisches Großmachtstreben
Macht versus souveräne Gleichheit 34
Weltordnung im Werden 36
Eine bessere Welt? 40
These 4: Der Kapitalismus ist noch nicht ausgereizt: Seine vorläufige Zukunft liegt im
„ökonomischen Nationalismus“ und „mixed economies“ im Rahmen einer weiterhin eng verflochtenen Weltwirtschaft
Ökonomischer Nationalismus 1: Nullsummenspiel im Wirtschaftskrieg 44
Ökonomischer Nationalismus 2: Win-Win Kooperation 46
Wirtschaftswachstum durch Entkoppelung? 47
Mixed Economies und der Unternehmerstaat 48
Mixed Economies als Transformationsgesellschaften auf dem Weg zum Sozialismus? 51
Realistische Ökonomik 55
These 5: In der Systemauseinandersetzung zwischen US-Imperialismus und dem Rest der Welt
liegt die historische Initiative nicht bei der Arbeiterklasse; trotzdem ist sozialistische Politik
notwendiger denn je
Die historische Initiative 57
Auf der Suche nach dem Realsozialismus 2.0 59
Gesucht 1: Eine organisierte politische Kraft 60
Gesucht 2: Eine „breite Kirche“ 61
Gesucht 3: Die konkrete Utopie 63
Fazit 66
us sagt:
Es gibt auch ein DKP-Papier zur Einschätzung der Lage. Und darin wird dem deutschen Kapital eine sehr viel größere Eigenständigkeit zugestanden als wir es in dem „Sozialistische Politik heute“-Text tun. Das hat wichtige strategische Implikationen, insbesondere, dass es mit den Bündnispartnern im eigenen Land eng wird, weil man sich mit „Antiamerikanismus“ gleich zum nützlichen Idioten des unverändert aggressiven deutschen Kapitals und der AfD macht.
Das Papier aus der Friedensbewegung sieht das anders, da ist es schon der US-Imperialismus, der eine zentrale Rolle spielt. Aber auch hier wird jedem Nationalismus eine ausdrückliche Absage erteilt.
Meine Gedanken zu den Papieren findet man hier.
us sagt:
Die Initiative „Nie wieder Krieg“ hat eine bedenkenswerte Analyse zur Weltlage und den Aufgaben der Friedensbewegung veröffentlicht, in der sich viele Elemente finden, die wir auch so dargestellt haben, und Schlussfolgerungen für die Friedensbewegung gezogen werden. Lesenswert: https://dreimallinks.de/wp-content/uploads/2024/08/Friedenspolitik-im-21-Jhdt.pdf.
us sagt:
Dort steht z.B.:
us sagt:
Und:
us sagt:
Den ersten Satz finde ich bedenkenswert aber auch schwierig. Natürlich ist es im Sinne des Friedens notwendig, außenpolitisch auf Diplomatie und Interessenausgleich und nicht auf Großmachtpolitik auf Kosten anderer zusetzen. Aber das setzt ja eigentlich voraus, dass man sich auch der eigenen Interessen bewusst ist. So leicht kommt auch die Friedensbewegung nicht davon, was Nationalismus betrifft. Wir wissen, dass für eine Wirtschaftspolitik, die alle Ressourcen ausschöpft, die auch ressourcenschonend und sozial ist, der nationalstaatliche Rahmen notwendig ist. Wir wissen, dass deswegen Grenzen nötig sind, dass Sicherheitsgarantien gebraucht werden, die die staatliche Existenz eines jeden Staates sichern etc. Wenn innerhalb des nationalstaatlichen Rahmens, wie fast überall auf der Welt Klassengesellschaften vorhanden sind, müssen sich Friedensbewegte in diesen Widersprüchen bewegen. Sprich: Die Identifikation mit einer Nation, in denen die benachteiligten Schichten ihre Rechte erst noch erkämpfen müssen, ist ein sehr starker Faktor auch des Klassenkampfes (war es jedenfalls früher, als es den noch gab). Solche klassenbewussten Patrioten verstanden sich eben gerade nicht als „vaterlandslose Gesellen“; sie identifizieren sich aber auch nicht mit den Großmachtinteressen ihrer herrschenden Klassen, aber u.U. schon – wie in England und Frankreich des 2. Weltkrieges und zumindest Teile der Kommunisten in Russland heute – doch mit dem Kampf gegen die Großmachtinteressen der Gegner des Landes, die die Existenz ihres Landes bedrohen.
Für uns Europäer ist das schon schwieriger, denn ein wohlverstandener Nationalismus hier kann sich ja weder mit den amerikanischen Interessen noch mit den von Abstiegsängsten getriebenen Großmachtambitionen der Machteliten und ihrem Bellizismus identifizieren. Mit einer Industriepolitik, die die europäische Wirtschaft stärkt, insbesondere in entscheidenden strategischen Bereichen, hingegen schon. Für mich ist die Sache mit Nordstream 2 symptomatisch: den Zugang zu günstigem russischen Gas halte ich für ein klassenübergreifendes nationales Interesse. Und das allgemeine Schweigen dazu für fatal.
us sagt:
Nachdem der Teil meines Textes zum Thema Mixed Economies in einer Diskussion mit dem Vorlesen des entsprechenden Wikipedia-Eintrages abgefertigt wurde (von jemanden, von dem ich seeeehr viel mehr erwartet hätte, äußerst enttäuschend!!!), hier ein intelligenter Diskussionsbeitrag von Bill Mitchell zum gleichen Thema, der, bezogen auf das Buch Fiat Socialism, so ziemlich alle richtigen Fragen stellt. Diese Diskussion, alt und doch immer noch ziemlich am Anfang, hätte ich mir gewünscht und auf dem Niveau auch erwartet. Book review: Fiat Socialism by Carlos García Hernández
us sagt:
Das Tricontinental: Institute for Social Research hat eine sehr interessante Studie herausgegeben: Hyper-Imperialism: A Dangerous Decadent New Stage. Besonders beachtenswert sind die differenzierten datenuntermauerten Analysen des unter US-Führung konsolidierten imperialistischen Blocks und des Globalen Südens, wie ich sie bisher nirgendwo sonst gesehen habe.
Dem imperialistischen Block werden 49 Staaten zugeordnet, die je nach dem Grad ihrer Einbindung ins imperialistische Zentrum in 4 Kreise unterteilt werden. Sie alle haben eine mehr oder weniger brutale Vergangenheit als Kolonialmächte. Der „Rest der Welt“ wird pauschal als „Globales Süden“ bezeichnet, auch wenn Russland und Belorus dazu gerechnet werden, und wird in 6 Gruppen eingeteilt. Trotz ihrer großen Verschiedenheit haben alle dort eingeordneten Staaten gemeinsame Interessen, die in der Studie identifiziert werden.
Schwindelig kann einem werden beim Vergleich der Militärausgaben und -stützpunkte.
us sagt:
Siehe dazu meinen Beitrag zu Frank Deppes Buch „Zeitenwenden“. Er kommt im Grunde genommen zu den gleichen Schlussfolgerungen wie ich.
https://dreimallinks.de/2024/02/und-wo-bleibt-die-transformation/
us sagt:
Der von mir im Text erwähnte Gonzalo Lira ist in ukrainischer Haft gestorben. Hier ein Nachruf von Larry Johnson.
Und hier einer von Yves Smith.
us sagt:
In meinem Papier argumentiere ich, dass das Kapital nicht frei auf der Welt rumschwebt und alle Staaten erpresst, sondern dass es sich mit dem US-Imperium verbündet und dieses nutzt, um seine Interessen weltweit durchzusetzen. Anlässlich der Tatsache, dass Xi in San Francisco standing ovations von den anwesenden Vertretern des Großkapitals bekam, schließt Garlan Nixon, dass sich das gerade ändern könnte. Man habe auf die Neocons gesetzt. Nachdem diese nun alles vermasselt hätten, die Ukraine, den Nahen Osten und ihre Wirtschaftsbeziehungen zu China, scheine nun Feierabend zu sein. Nun sehe man die Chancen, die sich im Afrika, im Nahen Osten, in China, Russland und auch in der Ukraine böten und beginne, sich auf die neuen Konditionen der multipolaren Welt einzulassen. Der Nahe Osten werde nun das neue Europa, wie MBS es ausdrückte. Europa sei Toast. Denn am Ende des Tages ginge es dem Kapital ums Geldverdienen, nicht ums Imperium. Nixon bringt einige Indizien für diesen Strategiewandel, z.B. auch, dass Vertreter Russlands auch zum APEC-Gipfel in San Francisco eingeladen waren, oder dass sich in der westlichen Presse die Kritik an Netanjahu häuft und überall die Zwei-Staaten-Lösung gefordert wird. Bedenkenswert.
us sagt:
Thomas Fazi hat ja auch schon so etwas angedeutet, wenn auch nicht so grundsätzlich.
us sagt:
Der Ökonom Michael Hudson führt im Gespräch mit Alexander Mercouris und Professor Glenn Diesen aus, dass weder China noch Russland einer ökonomischen Theorie folgen, sondern pragmatisch vorgehen, häufig reaktiv auf westliche Entscheidungen, die sich für sie negativ auswirken. Er sei mit seinem marxistischen Hintergrund (sein Vater war als Trotzkist in den USA politischer Gefangener, er selbst ist Trotskys Patensohn) ausdrücklich in China nicht als Berater erwünscht gewesen, weil man erwartete, dass er stalinistische Planwirtschaft empfehlen würde. Im Gegensatz dazu werden Chinesen immer noch zum Studium der noeklassischen Ökonomie in die USA geschickt und nach ihrer Rückkehr bevorzugt eingestellt. Interessant ist die These der Gesprächsteilnehmer, dass Russland sich in eine ähnliche Richtung wie China bewegt. Hudson hält es für nötig, dass die Praxis-Erfahrungen irgendwann einmal theoretisch aufgearbeitet und systematisiert werden. Fündig werden könnte man dazu bei den amerikanischen Protektionisten des 19. Jahrhunderts, über die Hudson auch ein Buch geschrieben hat. Hier noch ein anderer Artikel dazu.
us sagt:
Im Mai haben Radhika Desai und Alan Freeman ein lesenswertes Papier veröffentlicht:
A Worldwide Anti-Imperialist Left: Why It Is Needed, And What It Must Do
Valdai Discussion Club Report, May 2023
Die beiden sind in der von mir zitierten International Manifesto-Group, die im September 2021 das Manifest „Through Pluripolarity to Socialism“ veröffentlicht hat.
us sagt:
Im „Neuen Deutschland“ schreiben Heinz Bierbaum als Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Michael Brie als Vorsitzender von deren Wissenschaftlichem Beirat:
us sagt:
Hier die von mir übersetzte Einleitung: