Alice im Wirtschaftswunderland – 2

Erscheinen am 26. Januar bei Makroskop

Von einer, die auszog, das Thema Inflation zu verstehen, und dabei in einem Kaninchenbau landete.

„Keynesianischer Dampf!“ Alice schreckt auf. Wo ist sie? Ach so, sie ist ja durch ein Kaninchenloch ins Wirtschaftswunderland gerutscht. Beim Vortrag von Hans-Werner Sinn muss sie doch tatsächlich eingenickt sein. Jetzt aber ist sie wieder hellwach.

Staatsausgaben wirken grundsätzlich inflationär, erklärt Sinn, weil sie zusätzlichen Dampf in die Wirtschaft blasen. Schon jetzt sei nach den Corona-Hilfen, bei denen Geld in Umlauf kam, ohne dass etwas produziert wurde, unsere Wirtschaft überhitzt. Da sei jeder zusätzliche Euro fatal, weil inflationstreibend. Die neue Regierung zeige jedoch keine Einsicht, offiziell halte man an der schwarzen Null fest, inoffiziell nutze man alle Tricks, um sie zu umgehen, etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). So würden jetzt auch für Corona-Hilfen vorgesehene EU-Gelder umgewidmet zur Unterstützung der Energiewende.

Alice hat so ihre Zweifel. Die deutschen Unternehmen scheinen seinen Optimismus nicht zu teilen. Das Ifo-Institut zum Beispiel korrigierte gerade seine Wachstumsprognosen für Deutschland nach unten.

Sinn erklärt die Schädlichkeit der Staatsausgaben damit, dass der Staat dadurch mit der Privatwirtschaft in Konkurrenz zu den verfügbaren Ressourcen tritt. Auch das will Alice nicht ganz einleuchten. Ist denn die Wirtschaft immer ausgelastet? Bei 33 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und vielen Bereichen, in denen chronischer Personalmangel herrscht, wäre doch ein wenig zusätzlicher Dampf gar nicht schlecht, wenn private Unternehmen offensichtlich gar kein Interesse daran haben, stärker tätig zu werden.

Andererseits hat er vielleicht auch recht: Wenn der Staat fast 50 Prozent für Heizungserneuerungen zuschießt, ist es kein Wunder, wenn Heizungsinstallateure heiß begehrt sind und höhere Preise verlangen. Dann finanziert ein Teil der Gelder nicht neue Heizungen sondern höhere Preise, was ja nicht der Sinn der Sache ist. Nur würde Alice andere Konsequenzen als Sinn ziehen. Der Staat sollte sich nicht heraushalten, aber auch nicht einfach Geld in die Wirtschaft pumpen. Gute Wirtschaftspolitik ist etwas für Profis, die unter anderem dazu in der Lage sind, solche Folgen vorherzusehen und wissen, wie man erwünschte Effekte fördert und unerwünschten politisch entgegensteuert.

Und es geht ja da nicht nur um Professionalität sondern auch um Interessen. Gerade ist Sinn zum Thema Energiewende übergegangen, die unsere Energiepreise auf Dauer in die Höhe treibt. Begründung: Wegen der Dunkelflauten, wenn weder Wind- noch Solarenergie zur Verfügung steht, müssten konventionelle Energieträger in vollem Umfang vorgehalten werden. Alice sieht das anders: Klar muss für solche Fälle vorgesorgt werden, aber moderne, flexiblere Stromkonzepte, die unter anderem mit Gaskraftwerken arbeiten, können damit umgehen, wie vielfach gezeigt wurde. Das Problem ist, dass mächtige Interessen einem konsequenten Systemwechsel entgegenstehen, sowohl erneuerbare als auch konventionelle Energien subventioniert werden, der Ausstieg aus der Kohleindustrie verlangsamt und die Energiewende gebremst wird.

Dass außerdem hohe Energiepreise (und die Angst davor, bald im Kalten sitzen zu müssen) nicht nur an der Energiewende liegen, wird aktuell am Beispiel der Gaspreise deutlich, wo die Konkurrenz-führt-zu-günstigen-Preisen-EU-Privatisierungspolitik die Energiehändler dazu bewegt hat, ihr Gas lieber am Spotmarkt einzukaufen, statt auf mittelfristige Lieferverträge zu setzen. Das führte angesichts knapper Gasvorräte leider nicht zum Wunschergebnis.

Zudem wurde in den letzten Jahren politisch immer stärker gegen den wichtigsten Energielieferanten Russland aufgerüstet, sodass sich Europa inzwischen am Rand eines Krieges befindet. Angesichts der Tatsache, dass es keine adäquaten Ersatzlieferanten gibt, sah sich nun sogar Außenministerin Annalena Baerbock, zuvor als erklärte Gegnerin von Nordstream 2 an vorderster Front dabei, gezwungen, bei ihrem Moskaubesuch versöhnliche Töne anzuschlagen.

Susi und Otto Normalverbraucher baden mit hohen Preisen also nicht die Energiewende aus, findet Alice, sondern eher schlechte politische Entscheidungen und Planung sowie die Privatisierung der Energiemärkte.

Endlich kommt Sinn zum Thema Erzeugerpreise. Er stellt fest, dass die gegenwärtig hohen Preise (die Erzeugerpreise sind um 18 Prozent gestiegen) durch einen Angebotsschock bedingt sind, das sei erwiesen. Es handele sich jedoch nicht nur um ein temporäres Phänomen. Entgegen der Einschätzungen von „Experten“, auf die sich die Zentralbank berufe, haben direkte Umfragen des Ifo-Instituts bei Unternehmen ergeben, dass die überwiegende Anzahl im kommenden Jahr vorhat, diese Kostensteigerungen über die Preise an die Verbraucher weiterzugeben.

Es wird aber auch Zeit, dass er zu den Fakten kommt, denkt Alice. Alle anderen Begründungen für die ‚große Inflation‘ sind doch bloße Erwartungen, die auf seiner Wirtschaftstheorie basieren. Und dann zeigt Sinn zum Vergleich mit den Ölpreisschocks des vergangenen Jahrhunderts eine Grafik, die die Entwicklung der Verbraucher und Erzeugerpreise darstellt. Man sieht, wie die Erzeugerpreise jeweils in die Höhe schossen, aber auch, zu Alices Überraschung, wie sich die Preise im Laufe der Jahre wieder anglichen – genau wie es die Experten, die Sinn gerade kritisierte, für heute erwarten. Das wird auch durch die Entwicklung auf den Finanzmärkten bestätigt. Der Index für die Produkte, mit denen sich Anlieger gegen Inflationsrisiken schützen, ist für kurzfristige Anlagen in die Höhe geschossen, für mittel- und langfristige Anlagen blieb er relativ niedrig.

Das alles nach Corona so wird wie vorher, bezweifelt allerdings auch Alice. Dass sich der Monopolisierungsgrad der Wirtschaft verstärkt hat, viele kleine Unternehmen auf der Strecke blieben, ist nicht von der Hand zu weisen und auch lokal zu beobachten. Sahra Wagenknecht fordert Preisdeckel und die Zerschlagung von Monopolen wie Amazon. Interessant findet Alice, was die Ökonomin und Chinaexpertin Isabella Weber zu diesem Thema schrieb:

„Heute steht man wieder vor der Wahl, entweder die anhaltende Gewinnexplosion zu tolerieren, die die Preise in die Höhe treibt, oder maßgeschneiderte Kontrollen für sorgfältig ausgewählte Preise durchzuführen. Preiskontrollen würden Zeit gewinnen, um Engpässe zu beseitigen, die so lange anhalten werden, wie die Pandemie andauert. Strategische Preiskontrollen könnten auch zur Geldwertstabilität beitragen, die erforderlich ist, um öffentliche Investitionen in die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit, die Eindämmung des Klimawandels und die Klimaneutralität zu mobilisieren. Die Kosten des Wartens auf ein Verschwinden der Inflation sind hoch. (…) Austerität wäre noch schlimmer: Sie birgt die Gefahr einer Stagflation. Wir brauchen eine systematische Betrachtung strategischer Preiskontrollen als ein Instrument im Rahmen einer umfassenderen politischen Antwort auf die enormen makroökonomischen Herausforderungen (…).“ [Hervorhebung und Übersetzung d.V.]

Schließlich die Löhne. Sinn sagt Lohnerhöhungen voraus. Allein die beschlossene Anhebung des Mindestlohns werde das gesamte Lohnniveau nach oben schieben. Und in den anstehenden Lohnverhandlungen sei es realistisch, dass Erhöhungen von mindestens 4 Prozent durchgesetzt würden. Aber das alles würde zwangsläufig auch die Inflation weiter anheizen.

Das diese Lohnsteigerungen eine anhaltende Inflationsspirale auslösen werden, wird bei MAKROSKOP hingegen bezweifelt. Nur wenn es den Arbeitnehmern gelingt, ihre Löhne immer wieder an die Preiserhöhungen anzupassen, und damit bewirken, dass die Unternehmen mit ihrer Profitspanne unzufrieden sind, wird eine dauerhafte Spirale der Geldentwertung ausgelöst.

Im Gegensatz zu den Ölpreisschock-Zeiten ist die heutige Arbeiterbewegung jedoch zu schwach, um substanzielle Lohnerhöhungen durchzusetzen. Erst recht werden die Arbeitnehmer die Arbeitgeber nicht wie damals dazu zwingen können, die gestiegenen Energiepreise über höhere Löhne zu kompensieren.

Das alles hören Lohnabhängige nicht gern. Weder von ihrer Schwäche noch die These von der inflationären Wirkung der Lohnerhöhungen. Sollen sie verzichten, während die Unternehmer immer reicher werden?

Alice hat das anders verstanden: in der gegenwärtigen Lage müssen sich Lohnerhöhungen nicht zwangsläufig auf die Preise auswirken, weil einerseits besonders in Deutschland die Löhne schon seit längerer Zeit hinter den Produktivitätssteigerungen zurückbleiben, was den Unternehmen Extraprofite bescherte bzw. das deutsche Exportwunder ermöglichte. Andererseits schwächelt dadurch die Kaufkraft im Wirtschaftswunderland.

Während der Ölpreisschocks hingegen sei es starken Gewerkschaften gelungen, die Löhne über das Produktivitätsniveau zu heben – und das habe zusammen mit den hohen Energiepreisen zu der damaligen Krise beigetragen.

Weil hohe Energiepreise Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen betreffen, sind Lohnerhöhungen zur Kompensation wohl auch nicht das angemessene Mittel der Wahl, deswegen auch Isabella Webers Forderung nach Preiskontrollen.

Aus Gerechtigkeitsgründen und besonders zur Stärkung der Binnennachfrage wäre grundsätzlich die generelle Anhebung der Arbeitnehmereinkommen wünschenswert. Das würde aber die ganze Ausrichtung und Struktur unserer Wirtschaft verändern. Und wieder einmal, folgert Alice, scheint es keine Alternative zu einer guten staatlichen Wirtschafts- und Lohnpolitik zu geben, die einen solchen Prozess begleitet.

Wir können die Zukunft nicht kennen, denkt sie, als sie blinzelnd aus dem Bau ins Tageslicht klettert, da können wir unsere Lage noch so rational betrachten. Das haben wir ja nun bei Corona erlebt. Ganz automatisch, indem wir alle in unseren täglichen Entscheidungen das Richtige tun, regelt sich das alles ganz sicher nicht. Sie wünscht sich demokratisch legitimierte Institutionen und Profis, die angemessen im Sinne der betroffenen Menschen auf jede überraschende Wendung reagieren können.

Ob es die gibt, und wenn, ob sie die Macht dazu haben, entsprechend zu handeln? Da ist Alice wenig optimistisch. Der erste Schritt wäre, denkt sie, nicht mehr nur über die EZB, Zinserhöhungen und freie Märkte zu sprechen, sondern sich nach mehr als 30 Jahren der Verdammung staatlicher Wirtschaftspolitik grundsätzlich national und EU-weit darauf zu einigen, dass es zu den Staatsaufgaben gehört, fiskalpolitisch tätig zu sein. Und dafür müssen den Staaten die entsprechenden finanziellen, personellen und gesetzlichen Mittel zur Verfügung stehen.

 

2 Gedanken zu „Alice im Wirtschaftswunderland – 2

  • Hallo us,

    „Im Gegensatz zu den Ölpreisschock-Zeiten ist die heutige Arbeiterbewegung jedoch zu schwach, um substanzielle Lohnerhöhungen durchzusetzen. Erst recht werden die Arbeitnehmer die Arbeitgeber nicht wie damals dazu zwingen können, die gestiegenen Energiepreise über höhere Löhne zu kompensieren.

    Das alles hören Lohnabhängige nicht gern. Weder von ihrer Schwäche noch die These von der inflationären Wirkung der Lohnerhöhungen. Sollen sie verzichten, während die Unternehmer immer reicher werden?“

    Aus meiner Sicht müssen die Gewerkschaftsmitglieder unbedingt Lohnerhöhungen erkämpfen, welche 1. rückwirkend die Inflation 2021 ausgleichen 2. prognostisch die Inflation 2022 / 2023 einberechnen 3. einen fairen Anteil an den Produktionssteigerungen 4. das Tarifgefüge an den erhöhten Mindestlohn anpassen. (der jetzt eigentlich nur einen Inflationsausgleich darstellt und gleich nochmals erhöht werden müsste.). Ich würde von linken Zeitschriften primär erwarten, dass sie einen solchen Kampf aktiv unterstützen, indem sie den Gewerkschaften entsprechendes empirisches Material über die reale Inflation 2021 / 2022 aufbereiten (das über den sog. Konsumentenindex hinausgeht bzw. diesen nicht als alleinigen Inflationsmaßstab nimmt) und konkrete Vorschläge für den Lohnkampf machen. Eine andere Wahl haben nämlich die Lohnabhängigen nicht, allein über die Tarifkämpfe können sie im Durchschnitt erreichen, dass der Wert ihrer Arbeitskraft erhalten bleibt und nicht sinkt. Die Chancen in Deutschland stehen für die Gewerkschaften IMHO wegen der Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt nicht schlecht. Verdimitglieder müssen fordern, den 2021 vereinbarten Tarifvertrag 2022 nachzuverhandeln, weil er bis 2023 noch mit ganz anderen Preisprognosen abgeschlossen wurde.

    Inwiefern höhere Löhne sich wirtschaftlich im Verhältnis 1:1 linear auf steigende Preise auswirken, kann man eigentlich nicht seriös wirtschaftlich vorhersagen und die Vergleiche mit den 70ziger Jahren beruhen auf einer anderen Struktur der Weltwirtschaft im Vergleich zu heute (Globalisierung). Die wirtschaftlichen Prognosen sind ideologisch bzw. durch Modelle begründet, deren Ableitungen aber oft genug nicht eintreffen. In einem marxistischen Modell stehen zwischen Löhnen und Preisen ja der Mehrwert und die Profite, insofern existiert keine lineare Lohn-Preis-Spirale und höhere Löhne erzwingen nicht mechanistisch höhere Preise. Natürlich besitzen heute ein relevanter Teil der Unternehmen eine monopolartige Stellung oder treffen mit anderen Monopolabsprachen, so dass die Marktkonkurrenz bei der Preisbildung fehlt.

    Führt man die Schwäche der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung als Argument gegen eine möglicherweise anhaltende inflationäre Entwicklung an, muss man das auch beim empfohlenen Rezept der Preiskontrollen erst recht berücksichtigen. Gelingt es den Gewerkschaften nämlich nicht, den Kaufkraftverlust der Löhne auszugleichen, hat die Arbeiterbewegung erst recht keinen Einfluss auf einen von der Wirtschaftslobby kontrollierten Staat, damit dieser preisregulierend im Sinne der Lohnabhängigen antiinflationär tätig wird.

    Man sollte bei den kommenden Tarifkämpfen und den Reaktionen auf Energiepreiserhöhungen nicht allein auf Deutschland schauen? Ich erinnere nur an die Gelbwesten Bewegung in Frankreich (ausgelöst durch höhere Benzinpreise). Entstehen spontan grössere Lohnkämpfe in Frankreich, könnte sich das auf die deutschen Lohnabhängigen und Gewerkschaften auswirken.

    Gruss,
    qbz

    • Einverstanden, ich habe ja auch geschrieben, dass Lohnerhöhungen unbedingt sein müssen und sich in der jetzigen Situation nicht preistreibend auswirken müssen.

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