Chance für Europa: Das Undenkbare tun

Dieser Artikel erscheint heute bei Makroskop.

Der singapurische Diplomat Kishore Mahbubani fordert die Europäer auf, „das Undenkbare zu tun“. Aber ist die real existierende EU zu solch großem strategischen Wurf in der Lage? Oder wird sie die Fassade der transatlantischen Einheit trotz offener Demütigung aufrechterhalten?

Mit Recht sind die Europäer stolz auf ihre lange Tradition der Gedankenfreiheit. Wer jedoch die folgenden drei Axiome der europäischen Politik hinterfragt, denkt das „Undenkbare“ und stößt auf massive Gegenwehr.

Axiom Nummer 1 ist das unverbrüchliche transatlantische Bündnis. Die USA ist die den Europäern wohl gesonnene Schutzmacht, die sie mithilfe der NATO militärisch vor äußeren Feinden schützt und das konfliktreiche Verhältnis der europäischen Staaten untereinander befriedet. Im Gegenzug tragen die Europäer die amerikanische Politik weitgehend – mit einigen Ausreißern mit, auch wenn sie nicht immer den eigenen Interessen entspricht. Unterm Strich ist das Ergebnis für beide Seiten positiv.

Axiom Nummer 2 ist die russische Gefahr. Putins Absicht ist es, ein autoritär geführtes großrussisches Reich zu errichten. Die NATO-Osterweiterung war deswegen zum Schutz der osteuropäischen Staaten unabdingbar. Der Sieg im Ukrainekrieg ist für Europa eine Überlebensfrage, denn Putins imperialistische Armee wird immer weiter nach Westen marschieren, wenn sie nicht in der Ukraine aufgehalten wird.

Der Sieg ist möglich, den Putins Macht steht wirtschaftlich auf tönernen Füßen und die NATO-Staaten sind Russland militärisch weit überlegen. Jede Verhandlungsbereitschaft von westlicher Seite würde von Putin als Schwäche angesehen und ausgenutzt werden. Es war ein schwerer Fehler, sich vom russischen Erdgas abhängig zu machen und auf den Traum eines von Lissabon bis Wladiwostok reichenden Europas zu setzen, den Putin in seiner gefeierten Bundestagsrede von 2001 heraufbeschwor.

Axiom Nr. 3 ist der notwendige Kampf zur Verteidigung der Demokratie gegen die Autokraten dieser Welt. Die Europäer haben die Verpflichtung, die freiheitlich-demokratischen Werte weltweit durchzusetzen. Es ist unsere moralische Pflicht, nach Putins Völkerrechtsbruch die Ukraine zu unterstützen und Putin zu bestrafen. Im Inneren bedrohen rechtspopulistische Parteien mit ihren nationalistischen, rassistischen und faschistischen Programmen die Demokratie. Dabei liegen sie sowohl mit den trumpschen MAGA-Unterstützern als auch mit dem konservativen putinschen Russland auf einer Linie. Demokraten müssen mit allen Mitteln gegen diese Bedrohungen vorgehen; so zum Beispiel die Korridore der Meinungsäußerung kontrollieren und einschränken, damit russische Propaganda und faschistisches Gedankengut nicht frei in den sozialen Medien kursieren können. Schon undemokratische Gedanken und Worte sind als fake news und hate speech zu ahnden, denn aus Beidem könnte leicht eine böse Tat werden. Weiterlesen

Memo an Europa: Hier ist Deine Chance – Nutze sie!

Der bekannte Politikwissenschaftler John Mearsheimer sagte vor ein paar Tagen: „Die Gletscherplatten der Geopolitik verschieben sich.“ Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Als Europäer mag man es als starkes Stück empfinden, wenn man von einem US-Vizepräsidenten für eine Politik kritisiert wird, die einem seit mehr als 20 Jahren von seinen Vorgängerregierungen mehr oder weniger aufgezwungen wurde. Aber: Die Europäer haben diese Politik willfährig mitgetragen, zum Teil wider besseres Wissen. Vermutlich erlagen sie auch der fatalen Fehleinschätzung, man sei – zusammen mit den USA – der russischen „Tankstelle mit Atomwaffen“ weit überlegen. So gab man nach und nach die Entspannungspolitik auf, der wir die Wiedervereinigung verdanken. Und das industrielle Geschäfts- (und Energiewende-)Modell, das auf guten Beziehungen zu Russland und dem Bezug günstigen Pipeline-Gases beruhte, ebenfalls. Weiterlesen

Der große TikTok Disput

Der folgende Artikel erschien heute bei Makroskop in Anspielung an den Begriff „Minsky-Moment“ unter dem Titel „Der große Tiktok Moment“. (Ein Minsky-Moment ist der Zeitpunkt, an dem die Wirtschaft zusammen- und eine schwere Krise ausbricht.) Der bessere Titel wäre jedoch „Der große Xiaohongshu Moment“. Wie auch immer – Es ist jedenfalls interessant zu beobachten, wie der Versuch der US-Gesetzgeber, ihre Bürger vor Cyber-Angriffen und chinesischer Propaganda zu schützen, nach hinten losging – und in einem großen Fest der Völkerverständigung endete. Es gibt sogar schon die passende Hymne. 

Ob die Vertrauenskrise systemrelevant wird, bleibt abzuwarten. Ob sich die Bürger beider Länder nach dieser Erfahrung wieder vollständig voneinander abschotten lassen werden, ist fraglich.

Hier geht es zum vollständigen Artikel.

P.S.: Am 6. Februar erschien unter dem Titel „Unverhoffte Völkerfreundschaft“ dazu ein kürzerer Artikel von mir bei Der Freitag. Mit schöner Grafik. Weiterlesen

Gibt es in den USA eine Alternative zur Wahl des „kleineren Übels“?

Warum etliche Wähler in den USA sich wahrscheinlich nicht für die Wahl einer der „Unipartys“ entscheiden können, habe ich in dem Artikel dargestellt, der heute auf Makroskop erschien.

Soll man den „weltbesten Bandenchef“ oder lieber die in den demokratischen Vorwahlen von 2020 unbeliebteste demokratische Kandidatin wählen? Jill Stein und ihr running mate Butch Ware stehen für eine alternative Politik – innen- und außenpolitisch. Hier findet man die grundsätzlichen Vorstellungen  der Ökonomen Radhika Desai und Michael Hudson – Mitglieder des Berater-Teams um die Präsidentschaftskandidatin – zur Finanz- und Fiskalpolitik.

Und hier der Artikel als pdf-Datei.

 

Der Globale Süden als Friedensstifter?

Heute erschien bei Makroskop mein Artikel „Der Globale Süden als Friedensstifter?“ über die von China und Brasilien angestoßene Friedensinititive.

Der Ukraine-Krieg ist nicht nur für Europa eine Katastrophe. Auch viele Länder des „Globalen Südens“ sind von den Folgen betroffen. Das ist der Hintergrund für das von China und Brasilien am Rande der UN-Vollversammlung initiierte Treffen zur Bekräftigung ihres „Gemeinsamen Vorschlags für Friedensverhandlungen unter Beteiligung von Russland und der Ukraine“ vom Mai 2024. Von den siebzehn Staaten, die an dem Treffen teilnahmen, unterzeichneten zwölf am 27. September ein gemeinsames Neun-Punkte-Kommuniqué. Unter anderem ist in dem Beschluss festgeschrieben, im Rahmen der Vereinten Nationen eine Gruppe von „Freunden für den Frieden“ zu bilden. Der Chef-Sprecher des Schweizer Außenministeriums, das Beobachter zu dem Treffen entsandt hatte, begrüßte den Vorstoß. Zum gesamten Artikel: 241009-Der-globale-suden-als-friedensstifter

Die Ereignisse haben den Artikel schon überholt: Sowohl das dort erwähnte für den 12. Oktober geplannte Rammstein-Treffen, als auch die für November geplante Friedenskonferenz, die als Fortsetzung für das Treffen in der Schweiz geplant war, wurden abgesagt. Dazu Alexander Mercouris:

It looks to me that this announcement to postpone the peace conference is connected to the American decision to postpone the Ramstein meeting as well. It looks as if the Americans have decided to clear the decks to put everything back perhaps to next year rather than to be pushed into further diplomatic expeditions and moves and to decide and to be put into a position where they’d be under pressure to make further commitments to Ukraine that they don’t want to make. If I am right in thinking this, and I suspect I am, then even as Ukraine reels from one defeat to the other on the battlefields we have seen the first strongest and clearest sign that the United States is now closing the book on the whole affair.

Mehr Sicherheit durch die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Wiesbaden?

Der Artikel als pdf-Datei.

Der völkerechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Sicherheitslage in Europa erheblich verschlechtert, argumentiert die Bundesregierung. Das im Juli mit den USA geschlossene Abkommen Deutschlands zur Stationierung von landgestützten Raketen mit strategischen Reichweiten werde unsere Sicherheit verbessern. Es diene zur Abschreckung Russlands von einem Angriff auf Natomitglieder und trage so zur Verhinderung weiterer Kriege auf europäischem Boden bei. Oberst a.D. Wolfgang Richter widerspricht.

Geplant ist die temporäre und später dauerhafte Stationierung einer von fünf Multi-Domain-Task-Forces (MDTFs) in Deutschland. Diese Task Forces sind bewegliche Truppenverbände zur regionalen Kriegführung, die eine integrierte militärische Reaktion auf die unterschiedlichsten Bedrohungsszenarien erlauben. Schon 2017 begannen die USA mit dem Aufbau dieser Verbände, von denen zwei im indo-pazifischen Raum stationiert werden sollten, einer für die Arktis, einer für den Verbleib in den USA (und damit zur flexiblen Verwendung) und der fünfte, der nun nach Wiesbaden kommen soll, für Europa / Afrika vorgesehen war. Die Verbände sind mit verschiedenen landgestützten Raketensystemen ausgerüstet, die mit konventionellen Sprengköpfen ausgestattet werden (theoretisch könnten auch nukleare Sprengköpfe verwendet werden, was aber aktuell ausgeschlossen wurde.): Die sich noch im Entwicklungsstadium befindenden Dark Eagles sind Hyperschallraketen mit der – strategischen – Reichweite von bis zu 2.800 km. Die Tomahawk Marschflugkörper haben die – operative – Reichweite von 1700 – 2.500 km. Deren Abschussbatterien können auch SM-6-Luftabwehrraketen starten, die jedoch bei einer Reichweite von 370 – 460 km auch für Angriffe genutzt werden können. Schließlich gehören noch die HIMARs dazu, die die – taktischen – Reichweiten von 165 – 300 km abdecken, und häufig mit Cluster-Munition bestückt werden. Ein MDTF-Verband kann ohne Nachladen 40-48 Raketen gleichzeitig abschießen.

Die Stationierung solcher Raketen in Europa war bis 2019 nicht möglich, da das INF-Abkommen zwischen den USA und der UdSSR/Russland von 1987 über die Vernichtung aller boden-/landgestützten Nuklearraketen mit mittlerer und kürzerer Reichweite (zwischen 500 und 5500 Kilometer) das verbot. Präsident Trump kündigte das Abkommen im Februar 2019, einen Tag später folgte Russland, sodass das Abkommen im August 2019 auslief.
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Trumps nominierter Vizepräsident

J.D. Vance ist für diejenigen, die Verhandlungen in der Ukraine wollen, eine gute Nachricht.

Ansonsten ist er der Inbegriff des rechten Antiglobalisten. Dazu Larry Johnson:

Meanwhile, back in Ukraine, President Zelensky caught a swift kick to the cojones (Spanish for testicles) with Trump’s announcement naming J.D. Vance as his Vice Presidential candidate. I think it is a great choice. Vance is one of the few, lone voices in the Senate to question the wisdom of continuing to pour U.S. taxpayer dollars down the Ukrainian rathole. Vance, who served as an enlisted Marine (achieving the rank of corporal) at least has the understanding of the implications of a President making decisions that can send young soldiers and Marines into combat. Zelensky must be in a panic. If Trump and Vance prevail, his days of grifting are over.

This choice also has the Bush Republican crowd howling in outrage, because it marks a clear departure from the neocon vision of fighting the world and a shift to a populous message that emphasizes improving the lives of Americans in the United States, rather than squandering billions in disastrous overseas military adventures.

Vance represents the kind of candidate that the unwashed, middle class in America have longed for. He was born and raised amid poverty in Appalachia and, through his own determination, attended college, graduated at the top of the Yale Law School and only entered politics in order to speak on behalf of the forgotten middle class. Best of all, he is, to use a Boston expression, wicked smart.

US-Außenpolitik: Liegt ein Wandel in der Luft?

Wie soll es angesichts der veränderten Weltlage außenpolitisch weitergehen? Damit beschäftigen sich in der neuesten Ausgabe von Foreign Affairs rechtzeitig zum Präsidentschaftswahlkampf gleich drei Artikel aus drei verschiedenen Richtungen.

Für die größte Überraschung sorgte dabei Ben Rhodes, der von 2009 bis 2017 stellvertretender
Nationaler Sicherheitsberater für strategische Kommunikation und Redenschreiben in der Obama-Regierung war. Dass er mit dem jetzigen Sicherheitsberater Bidens Jake Sullivan einen Think Tank gegründet hat, spricht dafür, dass er auch heute noch eine wichtige politische Figur ist. In einer gewaltigen Abkehr von der bisherigen US-Politik plädiert er unter der Überschrift „A Foreign Policy for the World as It Is – Biden and the Search for a New American Strategy“ dafür, dass die USA

„die Denkweise des amerikanischen Primats aufgeben“ und „sich von den politischen Erwägungen, dem Maximalismus und der westlich-zentriertenSichtweise abwenden, die dazu geführt haben, dass die  Regierung [Biden] einige der gleichen Fehler wie ihre Vorgänger gemacht hat“. [Übersetzung d. V.]

Bevor wir uns damit beschäftigen, wie Rhodes zu dieser Schlussfolgerung kommt, zunächst ein Blick auf die anderen Konzepte:

Trumps Konzept: Frieden durch Stärke

Die „progressive“ Antwort: Eine Kraft des Guten in einer Welt der Zielkonflikte

240705 Quo Vadis Amerikanische Außenpolitik 2-Teiler

Der vollständige Artikel erschien in leicht veränderter Form auf Makroskop.

Ukraine-Krieg: Was ist. [Mit update]

In aller Kürze formuliert es Larry Johnson so:

1. Dass Putin ein neues russisches Reich errichten und die Welt erobern will, ist schwachsinnige Propaganda.

2. Westliche Nachrichtendienste spielen die ukrainischen Verluste herunter und übertreiben bei den russischen Toten und Verwundeten gewaltig.

3. Drittens: Schon allein auf der Grundlage von offenem Quellenmaterial lässt sich klar sagen, dass die legitimen Aussichten für die Ukraine, ihr Militär neu zu formieren und Russland wirksam herauszufordern,  gleich NULL sind!

4. Die derzeitige US-Politik verprellt Verbündete und stärkt die multinationale Allianz unter der Führung Russlands und Chinas. Die strategischen Implikationen, die sich daraus ergeben, stellen die Sicherheit der Wirtschaft der Vereinigten Staaten und ihre derzeitige hegemoniale Position in der Welt infrage.

Zum gleichen Thema Alexander Mercouris(Übersetzung von mir):

(Wie er kann und will man eigentlich nicht glauben, was man da beobachten muss)

Vor allem seitens der NATO ist das Ausmaß der Leugnung über die militärische Lage, über die Produktionszahlen von Artilleriegeschossen, über die Wirksamkeit der Luftabwehrraketen, über die Wirksamkeit der Raketenangriffe erstaunlich. Weiterlesen

Neuer Kalter Krieg oder Neue Entspannungspolitik?

Warum ist die Entspannungspolitik, die vor 40 Jahren in Deutschland mehrheitsfähig war, heute nicht mehr „in“? Muss die heutige Entwicklung in einen neuen Kalten Krieg münden, komplett mit Eskalationsspirale, Militarisierung, Freund-Feind-Denken und deutschen Atomwaffen? Oder könnte eine neue Ära der Entspannung beginnen, weil die Angst vor dem „Imperialisten Putin“ keine realistische Grundlage hat?

Dazu habe ich einen Zweiteiler geschrieben, der in leicht veränderter Form bei bei Makroskop erschien.

Hier meine Originale:

231213 Zukunft Europas Teil 1 – Entspannungspolitik und Zeitenwende -1

231213 Zukunft Europas Teil 2 – neuer Kalter Krieg oder neue Entspannungspolitik-1