Der Ukraine-Krieg: für die USA nur eine „glückliche Fundsache“?

Die Sache mit dem russischen Angriffskrieg ist und bleibt eine hochemotionale Sache; sie bleibt aber auch hoch relevant, wenn daraus imperialistische Angriffsmotive Russlands konstruiert werden, wie das viele Linke tun, vermutlich die meisten. Und sie gehen dann noch weiter und interpretieren die neue Weltlage als inter-imperialistischen Konflikt, wobei die Gleichung Kapitalmus = Expansionsdrang = Imperialismus angewendet wird. Demzufolge sind alle Imperialisten unterschiedlicher Couleur: Der kollektive Westen, ebenso wie Russland, China, Indien oder sonst wer.  Mit Lenins Imperialismustheorie hat das nichts zu tun. Darauf soll aber hier nicht weiter eingegangen werden. Zurück zum Ukraine-Konflikt:

Ingar Solty schreibt z.B., es sei eine Verschwörungstheorie anzunehmen, die Russen seien zum Angriff provoziert worden (ISW Report Nr. 133/134: Die neue Blockkonfrontation, S. 9). Vielmehr sei der Ukraine-Krieg für die USA eine „glückliche Fundsache“ gewesen. Denn sie seien nun die Hauptprofiteure des Krieges. Letzteres stimmt natürlich. Aber ist die Sache mit der Provokation wirklich nur eine Behauptung des „verschwörungstheoretischen Rands“ (Solty)?

Kann man diesen Streit nicht einfach zurückstellen und sich auf die Notwendigkeit eines sofortigen Friedens einigen? Man sollte es sicherlich. Denn angesichts des Kriegshorrors ist notwendig, alle Vorbehalte zurückzustellen und Verhandlungslösungen zu finden.

Kann man aber in der wissenschaftlichen Diskussion darauf verzichten, empirische Befunde zu würdigen? Nein. Und da gibt es nun weitere Hinweise. (Neben dem, was Nato-Chef Stoltenberg selbst sagte.)

Weiterlesen

Desorganisierte Eliten

Der Kommentator Sin Fronteras berichtet über den kürzlich verstorbenen Soziologen Richard Lachmann, der zum Thema Eliten, Macht Staat forschte und schrieb.

Seine Kernthesen:

1. Es gibt heute KEINEN einheitlichen oligarchischen Konsens. Früher gab es einen, seine Studie beginnt in den 50er Jahren, aber der Neoliberalismus hat nicht nur alles de-reguliert, sondern auch die oligarchischen Mittel zur Koordination und einheitlichen Politikgestaltung aufgelöst. Es geht also nur noch darum, zu plündern und zu brandschatzen, bevor der Konkurrent einem zuvorkommt.

2. Elitenplünderung schwächt den imperialen Staatsapparat und trägt zu seinem Niedergang bei.

Die US-Gesellschaftsordnung werde weder von einer rechten Agenda vereinnahmt, noch sei sie nach den Prinzipien des Finanzkapitals neu etabliert worden. Stattdessen, so Lachmann, sei sie infolge neuer und ungelöster Konflikte zwischen Eliten, deren Fähigkeiten und Interessen durch die strukturellen Veränderungen in der US-Wirtschaft in den 1970er Jahren neu geformt worden seien, völlig desorganisiert worden.

Weiterlesen

Gipfeltreffen sind Ausdruck einer sich rasch verändernden Weltordnung

Unter der Überschrift NATO vs. BRICS sprechen Radhika Desai, Michael Hudson und Pepe Escobar über die jüngsten Gipfel der Staaten des Globalen Südens und Russlands, BRICS und G77, z.B., aber auch das „Eastern Economic Forum“.

Einleitend dazu schreibt Yves Smith von Naked Capitalism [Übers. von mir mithilfe von DeepL]:

Die NATO ist ein Militärbündnis. BRICS ist kein Militärbündnis, und die große räumliche Entfernung zwischen den jüngst aufgenommenen sechs Ländern deutet stark darauf hin, dass in absehbarer Zukunft nicht beabsichtigt ist, ein Militärbündnis zu werden. Und obwohl die BRICS von der Energie gespeist werden, sich von der westlichen/kolonialen Vorherrschaft befreien zu wollen, wie der berauschende Ton ihres Gipfels im August zeigt, besteht doch eine Erfindung zu 1% aus Inspiration und zu 99% aus Transpiration. Doch so wie mehr bilateraler Handel andere Länder aus der Schlinge der US-Sanktionen befreit, ohne den Dollar wirklich zu verdrängen (nur 3 bis 5 % der Devisentransaktionen sind handelsbezogen), so werden diejenigen Länder des so genannten Globalen Südens, die ernsthaft miteinander reden, in naher Zukunft mehr dazu beitragen, ihren Einfluss in den großen globalen Organisationen zu erhöhen, als es der noch zu entwickelnde BRICS-Apparat in absehbarer Zeit tun wird. [Hervorhebung von mir]

Wir werden einen totalen wirtschaftlichen und finanziellen Krieg gegen Russland führen

Ein Kommentar von English Outsider by Moonofalabama, übersetzt von mir mithilfe von DeepL

Was hat die Regierungen des Westens dazu bewogen, sich auf dieses Unternehmen Ukraine einzulassen? Warum haben wir die „Shock and Awe“-Wirtschafts- und Finanzsanktionen, wie sie seinerzeit genannt wurden, eingesetzt?

Ich glaube, das war die Begründung für den Sanktionskrieg (maschinelle Übersetzung):

„Ich will Ihnen ganz klar sagen, Marc FAUVELLE, dass Russland die Leidtragenden sein werden, nicht Europa. Europa wird vielleicht tatsächlich ein wenig mehr Inflation haben, weil vielleicht die Gaspreise ein wenig steigen werden, aber es ist Russland, das leiden wird, es ist die russische Wirtschaft, die leiden wird. Und es ist das russische Finanzsystem, das vor unseren Augen zusammenbrechen wird. Die einzige Konsequenz, die Europa in den nächsten Wochen haben kann, ist ein kleiner Preisanstieg, der von der Erhöhung der Energiepreise abhängt.“

(Interview mit Bruno Le Maire, Minister für Wirtschaft, Finanzen und Konjunktur, mit France Info am 1. März 2022, über die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine und die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Frankreich)

Aus derselben Quelle:

„Ja, die Sanktionen sind wirksam. Die wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen sind sogar äußerst wirksam. Und ich möchte keine Zweifel an der Entschlossenheit Europas in dieser Frage aufkommen lassen. Wir werden einen totalen wirtschaftlichen und finanziellen Krieg gegen Russland führen…“

Weiterlesen

Stoltenberg: Die Erweiterung der NATO ist einer der Hauptgründe für den Ukraine-Krieg

Die tatsächliche Abfolge der Ereignisse im Jahr 2021, über die die Medien zeitnah berichteten, wurde letzte Woche vom NATO-Generalsekretär wie folgt zusammengefasst:

Dann zum Schluss zu Schweden. Zunächst einmal ist es historisch bedeutsam, dass Finnland jetzt Mitglied des Bündnisses ist. Und wir müssen uns an den Hintergrund erinnern. Der Hintergrund war, dass Präsident Putin im Herbst 2021 erklärte, dass es keine weitere NATO-Erweiterung geben wird, und er hat sogar einen Vertragsentwurf geschickt, den die NATO unterzeichnen sollte. Das war es, was er uns geschickt hat. Und das war eine Vorbedingung dafür, nicht in die Ukraine einzumarschieren. Natürlich haben wir das nicht unterschrieben.

Weiterlesen

Das Ende des Krieges und das Ende des US-Exzeptionalismus

Gefunden bei Naked Capitalism: End of the War, End of US Exceptionalism

Unter dieser Überschrift wurde mit einer Einleitung von Yves Smith John Helmers Besprechung des Buches „Overreach“ von Owen Matthews veröffentlicht, in der er dieses nach allen Regeln der Kunst auseinander nimmt.

Durchzogen werden Einleitung, Artikel und die anschließenden Kommentare mal wieder von der beunruhigenden Frage, wie anhaltendes dysfunktionales Verhalten unserer Eliten und die weitverbreitete Zustimmung, die sie nach wie vor dafür erhalten, zu erklären sind. Jeder kennt die Situationen, in denen uns vertraute Menschen bei einem Thema, bei dem sich Beweise angehäuft haben, die ihrem Glauben widersprechen, völlig aus der Spur geraten, sich weigern, sich mit diesen Beweisen auseinanderzusetzen, sie einfach nicht akzeptieren können und stattdessen um sich schlagen.

Unter anderen fand ich dazu einen Kommentar von Aurelien (mal wieder), den ich übersetzt habe

Ich bin schon seit langem der Meinung und habe in einigen meiner Beiträge die Auffassung vertreten, dass die wirklichen Probleme hier eher psychologischer (und gruppenpsychologischer) als politischer Natur sind. Es gibt Dinge, die wir sowohl auf persönlicher als auch auf institutioneller Ebene einfach nicht glauben können, weil sie außerhalb unseres Bezugsrahmens liegen und deren Konsequenzen, wenn sie wahr wären, zu beängstigend sind.

Noch wichtiger ist, dass, wenn wir Mitglieder von Gruppen sind, die alle dasselbe glauben, und wir uns ständig gegenseitig in unseren Ansichten bestärken, und die weitere Zugehörigkeit zu dieser Gruppe mit Vernunft und dem Wert der in die bisherige Politik investieren versunkenen psychologischen Kosten assoziiert wird.

Wie ich bereits dargelegt habe, denke ich, dass wir eine Art fortschreitenden Nervenzusammenbruch der PMC-Eliten erleben werden, zusammen mit einer Verzögerungsaktion, die darauf hinausläuft, dass (1) wir das nie gesagt haben, (2) OK, wir haben das gesagt, aber es wurde falsch interpretiert, (3) OK, wir haben das gesagt, aber wenn man genau liest, was wir gesagt haben, wurde das schlimmste vorstellbare Ergebnis vermieden, und deshalb haben wir gewonnen und hatten die ganze Zeit recht.

Inwieweit diese Strategie der brutalen Realität der Ereignisse standhalten wird, ist fraglich, denn jedes  heute absehbare Ergebnis des Krieges wird die teleologische Vorstellung torpedieren, dass die Ausbreitung des Liberalismus immer weiter gen Osten unaufhaltsam ist, und ich weiß nicht, ob die Eliten (insbesondere die europäischen, deren Hauptgrund für die Führung des Krieges diese Vorstellung ist) ein solches Ergebnis tatsächlich überleben können.

 

US-amerikanische Strategiedebatten

In seinem täglichen Briefing vom 22.8.2023 spricht Alexander Mercouris das „Big Power Game“ des US-Imperiums an und wie die entsprechenden Strategien in den USA diskutiert werden.

Die drei großen Zeitschriften, in denen diese debattiert werden, sind: Foreign Policy, Foreign Affairs und National Interest.

Grundsätzlich sei man sich bei den Eliten einig, dass China die große Gefahr für die amerikanischen Interessen darstelle. Aber wie soll man inzwischen mit Russland umgehen?

2021 forderte das Strategiepapier des Atlantic CouncilToward A New American China Strategy“ Zugeständnisse an Russland.

„ Allowing Russia to drift fully into China’s strategic embrace over the last decade will go down as the single greatest geostrategic error of successive US administrations,“ schreiben die Autoren.

Dem wurde z.B. in dem am 14.3.2022 in National Interest erschienenen Artikel von Wess Mitchell „To Prevent China from Grabbing Taiwan, Stop Russia in Ukrainevehement widersprochen (der Originalartikel sei inzwischen mehrfach redigiert und entschärft worden, sagt Mercouris).

„The whole point should be to keep U.S. power applied as surgically as possible to the weaker of the two rivals, with a view to decisively draining it and being able at a later date to face China with greater strength as a result.“

Heute schienen mehr und mehr Strategen zu der Einsicht zu kommen, dass letztere Strategie dabei sei zu scheitern. Weiterlesen

Die Kunst des (Sich-)Unterwerfens

Herausgegeben vom „European Council of Foreign Relations (ECFR) erschien im April 2023 in der Kategorie „Strategische Kurz-Empfehlungen“ (policy brief) das Papier „The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations“. Ob der Titel besser mit „Die Kunst der Unterwerfung“ oder mit „Die Kunst des Sich-Unterwerfens“ zu übersetzen ist, mögen am Ende dieses Artikels die Leserinnen und Leser selbst entscheiden.

Die Quintessenz des Papiers heißt: Aufrüstung – Aufrüstung – Aufrüstung.

Geht es nach den Autoren sind ein neuer Eiserner Vorhang im Osten zu erwarten sowie die vermutlich notwendige Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Erhöhung des Militärhaushaltes auf Kosten von Bildungsausgaben und Entlastung von Unternehmen und unteren Einkommensgruppen bei den Energiekosten (nicht von ungefähr erreicht Deutschland das 2% Nato-Ziel nicht), Fluglärm und Gefahr von Kampffliegern, die hundert Meter über unseren Köpfen trainieren, endlose Bauarbeiten beim Bau neuer Kasernen (die alten sind ja verkauft und in schicke Wohnungen verwandelt worden), Gefahren und Umwelt-Verschmutzung durch Munitionsfabriken (die der größten Munitionsfabrik Europas im 2. Weltkrieg in unserer Nachbarschaft beschätigt uns noch heute) u.v.m.

Heute erschien bei Makroskop in redigierter Form mein Artikel darüber.

Nochmals Jörg Goldberg

Zu dem in der Zeitschrift Z erschienenen Artikel „Weltordnung zwischen Globalisierung und
Nationalstaaten“ von Jörg Goldberg habe ich nun einen 800-Wort Kommentar geschrieben, den ich zur Veröffentlichung an die Zeitschrift Z sende.
Hier eine Zusammenfassung des Goldberg-Artikels mit meinem nachfolgenden ausführlichen Text dazu.

Die Lektüre des Textes regte mich zu Widerspruch an: Geht es um Dissens oder Akzentverschiebungen? Das könnte nur eine weitere Diskussion klären.

In meinem Kommentar geht es um 4 Punkte:

1. Die Rolle des Staates im Kapitalismus
2. Den aggressiven Charakter des „wohlwollenden Hegemons“
3. Die Krise des US-dominierten internationalen Systems
4. Den Charakter der künftigen Weltordnung

Verzweiflung. Realismus. Fürsorglichkeit.

Heute erschien bei Makroskop mein neuer Artikel.

Wer meinen Text „CO2-freie Fabrik: Die Herren meinen es ernst“ als Loblied auf den Kapitalismus als Klimaretter gelesen hat, ist zu Recht skeptisch. Sieht die Realität nicht eher so aus wie Rainer Land sie in seinem Artikel vom November 2022 beschreibt? Seit 2020, stellt er fest, sei der Zug zur Erreichung des 2-Grad Ziels abgefahren. Tiefster Pessimismus scheint angebracht: Trotz aller Rhetorik und vieler Taten werden die Klimaziele weltweit regelmäßig nicht erreicht. In Deutschland kann eine Partei, die den menschengemachten Klimawandel bestreitet, auf mehr als 20 % der Wählerstimmen hoffen. Und global ist im Gefolge des Ukraine-Krieges die Dynamik des Wettbewerbs zwischen den Großmächten immer deutlicher zu spüren und torpediert die für eine rechtzeitige Energiewende erforderliche intensive internationale Zusammenarbeit.

Das Apfelbäumchen
Dennoch, schreibt Land, bleibe zu bedenken, wie wir mit dem zu erwartenden Szenario umgingen, und ob man humane Bedingungen für die Überlebenden und das letzte Jahrhundert erhalten könne, denn nur so könnten wir weiter leben im Angesicht einer Welt, die sich selbst zerstört. Wie kann ein denkender und tatkräftiger Mensch dem Gefangensein zwischen tiefster Verzweiflung und idealistischer Traumtänzerei, selbstüberschätzender Hyperaktivität und depressiver Lähmung entkommen?
Hier geht es weiter: Verzweiflung-Realismus-Fürsorglichkeit