Überlegungen zum Verfassungsschutz und der „gesichert rechtsextremen“ AfD

Kommt es zum AfD-Verbot? Anfänglich hatte mich nur diese Frage beschäftigt, und die Anwort lag für mich auf der Hand: Es wird im extremsten Fall beim Versuch einer Eindämmung unterhalb der Verbotsschwelle bleiben, vergleichbar mit den Maßnahmen des „Radikalenerlasses“ zwischen 1972 und 1985. Die Überprüfung von 3,5 Millionen Personen, 1250 Nichteinstellungen in den Öffentlichen Dienst und 260 Entlassungen entfalteten damals durchaus eine Abschreckungswirkung; betroffen war hauptsächlich die DKP.

Wer aber zurückdenkt an die vehemente internationale Kritik an der Berufsverbotspolitik in der BRD der 70er und 80er Jahre, wird sich eine ähnlich konsequent umgesetzte Praxis mit der über 20% Wählerzuspruch erzielenden AfD kaum vorstellen können; die DKP lag damals um die 0,3%. Ein Parteiverbot gar würde die Spaltung der Gesellschaft für die „Systemparteien“ vollends unkontrollierbar machen – der ganze Laden drohte ihnen um die Ohren zu fliegen. Die Wirkung der Hochstufung durch den Verfassungsschutz schien folglich nur in der Drohgebärde zu liegen, die sich bisher allerdings als kaum wirksam erwiesen hat.

Ein Blick in die Zeitungen am 06.05. zeigte mir, dass ich mit den obigen Überlegungen den eigentlichen politischen Vorgang überhaupt nicht verstanden hatte. Unter der Rubrik „Fremde Federn“ zitierte die FAZ die polnische Rzeczpospolita:

„Die Art und Weise, wie unser westlicher Nachbar Deutschland versucht, mit der wachsenden Popularität der AfD umzugehen, ist zunehmend fragwürdig. Ja, die Aktivitäten der AfD und die Äußerungen einiger ihrer Politiker können Besorgnis und Ressentiments auslösen. Ja, es gibt aufgrund der Geschichte eine politische und institutionelle Besonderheit im Umgang Deutschlands mit rechten Parteien und Ideen. Aber wie soll man eine Situation beurteilen, in der wenige Tage vor der Bildung der neuen Regierung ein Amt, das einem Ministerium unterstellt ist, das noch von einem sozialdemokratischen Minister der alten Regierung geleitet wird, eine derart umstrittene Entscheidung zur Überwachung der wichtigsten Oppositionspartei trifft? Es überrascht nicht, dass schnell Kommentare über politische Intrigen folgten. Schon seit Wochen wird in den Reihen der CDU/CSU die Notwendigkeit eines anderen, flexibleren Umgangs mit der AFD thematisiert. Die Strategie eines Cordon sanitaire wurde als zu ineffektiv kritisiert, außerdem verdammt sie die Union zur totalen Abhängigkeit von ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner. Auch Merz selbst hat sich einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD in bestimmten Fragen nicht verschlossen. Es scheint also, dass jemand beschlossen hat, ihn daran zu hindern.“

Eine plausible Arbeitshypothese, dachte ich. Ich griff zur WELT, und mir sprang in die Augen, dass der polnische Kommentar die richtige Spur gelegt hat. Man muss diesen Aufmacher auf der ersten Seite mit eigenen Augen gesehen haben:

Leon de Winter: Bin ich jetzt gesichert rechtsextrem? – WELT

Wie konnte ich nur vergessen, dass die WELT seit geraumer Zeit daran arbeitet, die „Brandmauer“ zu Fall zu bringen, also Sprachrohr der Kräfte in der CDU/CSU ist, die genau das wollen? Die FAZ ist in solchen Angelegenheiten dezenter und lässt lieber „fremde Federn“ sprechen, so am 07.05. die NZZ:

„… Deutschland ist keine liberale, sondern eine unsichere Demokratie. Die dortigen Staatsorgane misstrauen den Bürgern. Sie verstehen sich nicht als Dienstleister des Souveräns, sondern als Souverän … Die Beweislast liegt nicht bei der AfD, sondern beim Verfassungsschutz, gegen den die Partei nun zu Recht klagt. Solange der Geheimdienst seine Vorwürfe nicht belegt, gilt, was der amerikanische Außenminister Marco Rubio zu dessen Vorgehen gesagt hat: ‚That’s not democracy.‘ Das ist keine Demokratie.“

Es erscheint mir inzwischen mehr als plausibel, dass die Bekanntgabe des Ergebnisses des VS-Gutachtens bei gleichzeitiger Geheimhaltung der über 1000 Seiten und das Durchstechen von ausgewählten Passagen hauptsächlich darauf abzielen, den Brandmauer-Beseitigern möglichst große Steine in den Weg zu legen. Anfänglich ging ich davon aus, dass die Versicherungen des Innenministeriums, der VS habe nicht auf Weisung der Innenministerin gehandelt, nicht glaubwürdig sind. Nachdem in der Zwischenzeit die handwerkliche Dürftigkeit des VS-Gutachtens in vielerlei Hinsicht in den verschiedensten Presseorganen aufgezeigt wurde – allein in der WELT waren es zehn Artikel – , kommt mir ein anderer Verdacht. Ist nicht denkbar, dass der VS sich sicher war, dass Nancy Faeser, ohne eine Weisung gegeben zu haben, die Gelegenheit beglückt beim Schopfe packen und das Ergebnis des Gutachtens ohne weitere Überprüfung vor der Wahl der neuen Regierung veröffentlichen würde? Und dass auf diese Weise die ganze Geschichte eher nach hinten losgehen könnte? Eine Verschwörungstheorie, gewiss, aber sie passt gut zu meinen Vorurteilen gegen den VS.

 

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