Frank Deppe hat ein lesenswertes neues Buch geschrieben: Zeitenwenden? Der „neue“ und der „alte“ Kalte Krieg
In drei Kapiteln (1. Vom Geist der Zeit: Polykrise, Epochenbruch, Zeitenwende, 2. Der alte Kalte Krieg, 3. Der neue Kalte Krieg) umreißt er differenziert die heutige Weltlage und vergleicht sie mit der Situation im „alten“ Kalten Krieg.
Auch wenn sich an manchen Stellen Diskussionsbedarf und Widerspruch regt, z.B. in seinen Ausführungen zu Russland als relativ schwachem Land und zur Einschätzung des American Empire als immer noch im Vergleich sehr starkem Akteur, ist das Buch doch ein sehr guter Ausgangspunkt, um „verzweifelte, vorsichtig tastende Versuche zur Formulierung linker Politik“ zu unternehmen, wie er in einem mündlichen Vortrag zu seinem Buch sagte.
Die Linke, so Deppe habe auf die neue Konfrontation mit Orientierungslosigkeit, Konfusion und Spaltung reagiert. Jedem Versuch, diese Spaltung zu überwinden, einander zuzuhören und sogar in zivilisierter Form Argumente auszutauschen, komme eine riesige Bedeutung zu.
Am Ende seines Buches schreibt er:
„Die „Kunst der Politk“ – vor allem für politische Linke – besteht darin, dieses komplexe Geflecht von Interessen und Machtverhältnissen in der Perspektive einer auf den Nationalstaat bezogenen Strategie bzw. Handlungsorientierung auf den Begriff zu bringen.“
Die drei Eckpunkte linker Politik seien (so Deppe in seinem Vortrag):
1. Friedenspolitik: Die sich aus dem Abstieg des American Empire und dem Aufstieg neuer Mächte ergebende große Kriegsgefahr müsse mit allen Mitteln entschärft werden.
2. Globales Denken: Akzeptanz und Berücksichtigung der internationalen Vernetzung, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch bezüglich der großen Menschheitsfragen Krieg und Klima. Dazu gehört auch das Verständnis, dass die neuen internationalen Akteure äußerst verschiedenartig sind.
3. Lokales Handeln: Die negativen Folgen der neoliberalen Globalisierung sind immer stärker in den Zentren spürbar. Dadurch wird die Bedeutung des Nationalstaates aufgewertet, der – strukturell überfordert – immer stärker als Krisenmanager fungieren muss. Hier müssen soziale Bewegungen ansetzen. Wie genau, ist in jedem Land unterschiedlich.
Und wo bleibt die sozialistische Transformation?
Nicht zu unrecht ergab sich in der Diskussion die Frage, wo denn da das wirkliche linke Projekt zu finden sei, das der Transformation des Kapitalismus zum Sozialismus.
Die Zeit fehlte, um das zu diskutieren.
Beziehung zu meinem Text „Sozialistische Politik heute“
Ein Ansatzpunkt wäre aus meiner Sicht, das, was ich in meinem Text „Sozialistische Politik“ heute formuliert habe: Der Kampf um eine neue Wirtschaftspolitik, die den Finanzkapitalismus überwindet.
Dazu haben Michael Hudson und Radhika Desai ein Video gemacht, anlässlich der Tatsache, dass sie im Beraterteam der Präsidentschaftskandidatin Jill Stein (Green Party) sind (ein eigener Beitrag dazu folgt):
Economic Solutions: How To Go from Financialized Neoliberalism to a Productive, Sustainable Economy (10.2.2024)
Dort schreiben sie:
„Die Lösung in den Vereinigten Staaten und in allen Ländern, die den Weg des Neoliberalismus und der Finanzialisierung eingeschlagen haben, erfordert eine grundlegende Reform des Finanzsystems. Dies wäre die Grundlage für die dringend erforderliche wirtschaftliche Umgestaltung. Wir müssen das Finanzsystem neu ausrichten, weg von räuberischer Kreditvergabe und Spekulation hin zu einer Kreditvergabe für die nachhaltige Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die jeder braucht. Dazu muss die Grundlage unseres Geld- und Kreditsystems umgestaltet werden. Angesichts der Verbindung zwischen dem US-Finanzsystem und der weltweiten Rolle des Dollars muss auch dessen internationale Rolle beendet und ein internationales Welt-Währungssystem auf der Grundlage der Kooperation zwischen den verschiedenen Ländern der Welt geschaffen werden.
[…]
Das Endziel wären Volkswirtschaften, in denen Geld eine möglichst geringe unabhängige Rolle spielt, in denen die meisten Dinge als Rechte auf öffentliche Güter zur Verfügung stehen, sei es Nahrung, Kleidung, Wohnraum, Bildung, Verkehr oder Kultur. Güter, die öffentlich und gerecht produziert und in ausreichender Menge und Qualität mit Blick auf die Nachhaltigkeit bereitgestellt werden.“
Und solche Volkswirtschaften wären mit Sicherheit als sozialistisch zu bezeichnen, selbst wenn darin privates Unternehmertum immer noch eine große Rolle spielen sollte. Denn in ihnen würde eine völlig geänderte Ressourcenverteilung vorherrschen.
Die wichtigsten aktuellen Stellschrauben sind:
- Wer sollte Geld schöpfen?
- Welche Ziele soll die Geldpolitik verfolgen?
- Wie sollen wir das Steuersystem umgestalten?
- Was ist mit Grund und Boden, Pacht und so weiter? Sollten wir den Boden verstaatlichen und die Pacht abschaffen?
- Wie sollte das Finanzsystem reguliert werden?
- Was sollte die Schulden ersetzen? Offensichtlich eher Einkommen als Kredite.
- Wie sollte das internationale Geldsystem neu organisiert werden?
Das Einfache, das schwer zu machen ist
Hudson und Desais Vorschläge dazu sind keineswegs neu, sie wurden teilweise in der Vergangenheit schon erfolgreich umgesetzt, zumindest aber sehr gründlich durchdacht. Die Umsetzung dieser Forderungen erscheint andererseits völlig unrealistisch. Dazu sagt Desai:
„Die wichtigste Schwierigkeit bei der Umsetzung ist nicht intellektueller, sondern politischer Natur, und da die politische Legitimität und Macht derjenigen, die das System leiten, insbesondere in den Vereinigten Staaten, zusehends schwindet, Risse bekommt usw., ist es jetzt an der Zeit zuzuschlagen, jetzt ist es an der Zeit, Forderungen nach einem alternativen System zu stellen.“
Reformismus?
Man könnte argumentieren, dass, das alles sozialdemokratische Illusionen seien, die angesichts der Realitäten seit den 70iger Jahren als unerfüllbar entlarvt seien. Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Artikel von Thomas Fazi, der jetzt auf deutsch auf Makroskop (leider paywall) veröffentlicht wurde. Dort vollzieht er am Beispiel des kürzlich verstorbenen Jacques Delors nach, wie die Sozialdemokratie mit fliegenden Fahnen zum Neoliberalismus überging – im Glauben, dass es keine Alternative gegeben hätte, die es aber, laut Fazi, sehr wohl gab.
us sagt:
In seinem Buch schreibt Deppe, die Siege der Sozialdemokraten in Europa seien schon eine Reaktion auf die neoliberale Wende gewesen. Dass sich diese dann dazu gezwungen sahen, die neoliberale Politik fortzusetzen und gar noch zu verstärken, habe entscheidend zur Schwäche der Linken in der heutigen Zeit beigetragen.
Genau das sagt auch Fazi.
Das von ihm gemeinsam mit William Mitchell verfasste Buch „Reclaiming the State“ ist das Standardwerk, in dem diese sozialdemokratische Politik nachvollzogen und detailliert gezeigt wird, welche Alternativen es damals gab und auch heute noch gäbe.