Anlässlich der Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur

durch russischen Beschuss ist es wichtig, sich an den Beginn des Krieges zurückzuerinnern und sich Rechenschaft darüber abzulegen, warum es zu diesem Krieg gekommen ist und warum er so unversöhnlich geführt wird.

Die allerletzte Möglichkeit den Krieg abzuwenden, hätte (nicht nur meiner Meinung nach) darin bestanden, wenn der Westen, insbesondere die USA, sich auf ernsthafte Verhandlungen über die beiden russischen Vertragsentwürfe mit der USA bzw. der NATO eingelassen hätte.

Vertragsentwürfe vom 17. Dezember 2021 in deutscher Übersetzung.

Wesentlicher Ausschnitt aus der Rede Putins vom 21. Dezember 2021 in deutscher Übersetzung, in der er „militärische-technische Maßnahmen“ ankündigt.

Die Vertragsentwürfe beinhalten im wesentliche den westlichen Verzicht auf die Nato-Osterweiterung insbesondere durch die Ukraine und laufen darauf hinaus, dass im Rahmen einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur eine breite Zone von Staaten entsteht, die neutral sind bzw. zumindest frei sind von russischen und westlichen Waffen, die gegen den jeweils anderen eingesetzt werden können. Stichwort: strukturelle Nichtangriffsfähigkeit. Damit wäre die Sicherheit aller gewährleistet.

Meiner Meinung nach wird der Krieg solange weitergehen (evt. auch in eingefrorener Form), wie man nicht bei diesem Thema substanziell weiterkommt.

Warum das so schwierig ist, zeigt ein Zitat aus einem neueren Artikel von Michael von der Schulenburg:

Was macht dann die Suche nach einer diplomatischen Lösung so schwierig?

Das Schlüsselwort, das den Westen daran hindert, sich mit Russland an einen Tisch zu setzen, ist „Neutralität“. Russland möchte, dass die Ukraine neutral bleibt, während die USA eine feste Einbindung der Ukraine in das westliche Militärbündnis wünschen. Diese gegensätzlichen Positionen beruhen nicht auf einer besonderen Liebe der einen oder anderen Seite zur Ukraine, sondern es ist die strategische Lage der Ukraine zwischen Asien und Europa, die die Ukraine für beide Seiten geopolitisch so attraktive macht.

Als Mitglied der Nato würde die Ukraine zu einem strategischen Aktivposten für den Anspruch der USA auf eine globale und unangefochtene Führungsrolle werden. Sie würde Russland als Großmacht aus dem Spiel nehmen und es zu einer Regionalmacht degradieren. Sie würde es den USA ermöglichen, den Handel zwischen Europa und Asien zu kontrollieren und ihre Macht bis tief nach Asien hineinzuprojizieren – der Hauptgrund, warum sich alle asiatischen Länder, mit Ausnahme von Japan und Taiwan, nicht der Nato/US-Politik der Verurteilung und Isolierung Russlands angeschlossen haben.

Andererseits würde eine neutrale Ukraine (und damit auch ein neutrales Georgien) Russland davon befreien, von der Nato eingekreist zu werden. Es würde seinen Status als dominierende Macht in seiner unmittelbaren geografischen Nachbarschaft behalten und ein – wenn auch kleiner – internationaler Akteur bleiben.

https://www.karenina.de/news/politik/wer-ist-bereit-fuer-frieden/

7 Gedanken zu „Anlässlich der Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur

  • Ich vermag keine Bereitschaft bei der herrschenden Klasse in der EU und der NATO für einen Waffenstillstand und einen Frieden auf Kompromissbasis mit Russland zu erkennen. In ihrer Gesamtheit profitiert sie vom Ukrainekrieg und eine zerstörte Ukraine verspricht den EU-Konzernen neue Gewinne beim Wiederaufbau über staatliche subventionierte Aufträge. Die aktive Kriegsbeteiligung der NATO erhöht die Repression in der EU und schafft bessere Ausbeutungsbedingungen im Inneren mit staatlicher Hilfe.

    Es fehlt desweiteren in der EU eine breite, gemeinsame Friedensbewegung mit starken politischen Parteien, welchen bewusst ist, dass man Frieden gegen die herrschende Klasse in der EU und ihre Parteienvertreter erkämpfen muss und mit starken Bündnispartnern aus den kirchlichen und pazifistischen und gewerkschaftlichen Organisationen. Der Nationalismus der Rechtsextremen spaltet ausserdem die Bevölkerung, trotz der Friedensbekenntnisse.

    Scholz, Macron, Sunak, von der Leyen wollen keinen Waffenstillstand und Friedenskompromiss mit Russland erzielen. Sie unterstützen die selbstschädigenden, umfangreichsten je ausgesprochenen Sanktionen gegen Russland, die aktive Kriegsbeteiligung der NATO, die Umorientierung der Wirtschaft auf Krieg mit Russland (von Russland unabhängige Energieversorgung), die Aufrüstung sowie den zügigen Ausbau des Katastrophenschutzes im Kriegsfall mit hohen Staatsschulden. Sie bereiten die Bevölkerung und die Wirtschaft auf eine weitere Kriegseskalation vor.

    Ich gebe mich keinen Illusionen über die Absichten der herrschende Klasse und ihrer Parteien hin, so bitter die Realität auch erscheinen mag.

    • Dieser Entschliessungsantrag der EU unterstützt meine Einschätzung.
      https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0405_DE.html

      Beachtlich die Erklärung der Bulgarin  Elena Yoncheva (progressive Sozialdemokraten): „Herr Präsident, meine Damen und Herren, wollen wir Krieg in Europa? Denn mit dieser Entschließung schüren wir den Konflikt nur und bringen Europa einer großen Katastrophe näher. Russland zu einem Staat zu erklären, der den Terrorismus fördert, verringert die Möglichkeit, eine friedliche Lösung des Konflikts zu finden, weil Sie nicht mit einem Terroristen verhandeln. Indem wir für dieses schändliche Dokument stimmen, lassen wir alles auf dem Schlachtfeld entscheiden.

      Verstehen Sie, was das bedeutet? Ein Krieg mit einer großen Nuklearmacht kann nicht gewonnen werden. Wir verurteilen die Ukraine zu einem langen Krieg, wir verurteilen Europa zur Erschöpfung und wir ebnen den Weg für eine globale Atomkatastrophe.

      Meine Damen und Herren, wir brauchen eine europäische Strategie, um den Krieg zu stoppen. Europa muss Friedensverhandlungen führen und auf einem vernünftigen und akzeptablen Kompromiss bestehen. Stattdessen kommen wir mit dieser Entschließung dem Ziel, Europa in diesen Krieg hineinzuziehen, einen Schritt näher.“

      und die von Mick Wallace (The Left): „Herr Präsident, es gibt keinen Rechtsrahmen für die EU, um einen staatlichen Sponsor des Terrorismus anzuerkennen. Sie haben diese antagonistische Darbietung einfach aus dem Nichts gezogen. Selbst die USA, die über einen solchen rechtlichen Mechanismus verfügen, haben davon abgesehen, das Label auf Russland anzuwenden. Biden hat argumentiert, dass dies zukünftige Bemühungen zur Aushandlung eines Friedensabkommens beeinträchtigen könnte.

      Das Europäische Parlament, anstatt Frieden und ein Ende dieses blutigen Krieges anzustreben – eines Krieges, der Zehntausende tötet, die europäische Industrie und Arbeitsplätze dezimiert, eine steigende Inflation und eine beispiellose Krise der Lebenshaltungskosten verursacht – anstatt diplomatische Anstrengungen zu unternehmen, um Abhilfe zu schaffen Katastrophe, Sie haben dafür gestimmt, Russland zu beschimpfen.

      Was noch schlimmer ist, die NATO ist eine der blutrünstigsten Terroristengruppen, die diese Erde verfluchen. Es hat Millionen von Menschen ermordet. Die Vorstellung, dass ein Vertreter eines NATO-Mitgliedsstaats jeden anderen als Sponsor des Terrorismus bezeichnen würde, bevor er seinen eigenen Staat anprangert, ist absurd.“
      https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/CRE-9-2022-11-23-ITM-018-02_DE.html

    • Über die Absichten mache ich mir auch keine Illusionen. Sie wollen Russland schwächen und möglichst als souveränen Machtfaktor ausschalten. Dafür gehen sie über die Leichen der Ukrainer. Aber wenn das nicht gelingt?
      Aus Afghanistan sind sie am Ende auch abgezogen, ohne ihr Ziel erreicht zu haben (dauerhafte Machtprojektion in Zentralasien). Das geschah sicher nicht aufgrund des starken Drucks einer Friedensbewegung. Ich vermute, die „Kosten“ waren schließlich zu hoch im Verhältnis zum wahrgenommenen Nutzen.
      Ich glaube nicht, dass die NATO als solche in der Ukraine eingreifen wird. Denkbar ist allenfalls eine „Koalition der Willigen“, und das auch nur unter Führung der USA. Hältst du das für möglich? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Das wäre wohl das Ende der NATO.
      Für viel wahrscheinlicher halte ich es, dass die USA sich früher oder später elegant zurückziehen, will heißen, ihre Unterstützung für den Krieg massiv zurückfahren. Schon jetzt ist es unmöglich, die benötigten Mengen an Waffen zu liefern.

      Was geschieht dann?

      • In Afghanistan scheiterte der Versuch, den Krieg gegen die Taliban zu „Afghanisieren“. Die von der NATO aufgebaute afghanische Armee, Polizei und staatlichen Organe konnten die ihr zugedachten Aufgaben gegen die Taliban niemals erfüllen, was im Krieg zwischen Russland und der Ukraine ganz anders ist.

        Die NATO hat ihre militärische Unterstützung der Ukraine sukzessive ausgeweitet. Die Umstellung der ukrainischen Armee auf NATO-Waffen erfordert Ausbildung, Logistik, Reparatur, also Zeit. Daran arbeitet die NATO. England liefert gerade drei Kampfhubschrauber mit ausgebildeten ukrainischen Piloten. Meine russische Quelle rechnet damit, dass weitere Hubschrauber und auch Kampfflugzeuge folgen.

        Dass die Ukraine MG´s mit dem „Label“ Drohnenabwehr erhält, würde ich jetzt nicht schliessen, dass es der USA an Waffen fehlt. Die MG´s haben Thermowärmekameras (Nachtsicht für Nachtgefechte), sie gehen vermutlich an die Front. Grundsätzlich erhält die Ukraine Waffen aus allen vorhandenen, alten Beständen der NATO-Länder. Wikipedia zu den Luftabwehrraketen: „The AMRAAM is one of the most widely used air-to-air missiles in the world, and stockpiles of it are higher than any other comparable system. As NASAMS uses existing air-to-air missiles such as the AIM-9 Sidewinder, AMRAAM, and AMRAAM-ER, there may be thousands of older missiles in NATO’s arsenal that can be fired from a NASAMS battery without change.[citation needed] The AIM-9X variant includes an internal cooling system, eliminating the need for launch-rail nitrogen supply required by older variants of the missile. A report has described NASAMS as „extremely well suited to Ukraine because of the massive numbers of missiles that NATO and allies can supply, specifically for the air defence system.“[41][42] In particular, older AMRAAM A and B models have been replaced, making available many older missiles which could be sent to Ukraine.[43] For example the UK government has offered to donate „[h]undreds of additional air defence missiles“ including the AMRAAMs.[44] “

        Dass die NATO-Länder nicht in der Lage sind oder sein werden, die benötigten Waffen und logistische Unterstützung für einen langen Krieg bereit zu stellen, halte ich für eine komplette Fehleinschätzung. Produktionsmässig, organisatorisch und von den finanziellen Ressourcen verfügen die NATO-Länder natürlich über diese Kapazitäten, die sie sukzessive ausbauen.

        • Das scheinen ja die ehemaligen US-Militärs, wie z.B. Douglas MacGregor, anders zu sehen, die sagen, dass das amerikanische Militär und erst recht die Nato gar nicht so strukturiert sind, dass sie einen konventionellen Landkrieg bestreiten können, nicht die industrielle Basis dafür haben, um das zu ändern, und angesichts moderner Waffensysteme auch gar nicht mehr die für das alles notwendigen Truppenaufmärsche durchführen können. Siehe z.B. https://youtu.be/dfgF4x7TCmM

          • Interessantes Interview. Apropos militärische Potentiale: Er hat 1991 die grosse (grösste je stattgefundene) Panzerschlacht im Irak, kommandiert, wo 73 irakische Panzer (russische Modelle) durch die USA-Panzerarmee zerstört worden ist. https://en.wikipedia.org/wiki/Battle_of_73_Easting . Und im Kosovokrieg führte er als Oberst im NATO-Stab den Krieg. Insofern gebe ich seinen militärischen Prognosen für den Winter schon einiges Gewicht, allerdings argumentiert er leider ohne sachliche Faktenanalyse.

    • Nicht nur der Nationalismus der Rechtsextremen spaltet die Friedensbewegung, sondern in viel höherem Maße die ideologische Übereinstimmung großer Teile der Linken mit der herrschenden Klasse: Alle sind gemeinsam der Meinung, dass Russland moralisch im Unrecht ist, und es deswegen keinen Siegfrieden Russlands geben darf. Es gibt in der Regel höchstens Unterschiede im Grad des Bellizismus.

      Deswegen kann es gar keine „breite, gemeinsame Friedensbewegung mit starken politischen Parteien, welchen bewusst ist, dass man Frieden gegen die herrschende Klasse in der EU und ihre Parteienvertreter erkämpfen muss und mit starken Bündnispartnern aus den kirchlichen und pazifistischen und gewerkschaftlichen Organisationen“ geben.

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